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Die Saadet Partisi in Österreich

kamala
Seit 2012 ist es im Ausland lebenden türkischen StaatsbürgerInnen möglich an bundesweiten Wahlen in ihrem Heimatland teilzunehmen. Die Stimmen können in der Botschaft in Wien oder in den Konsulaten in Salzburg und Bregenz abgegeben werden. Seither versuchen auch die türkischen Parteien Strukturen im Ausland aufzubauen (Vereine, die gewissen Parteien oder Ideologien nahe standen, gab es selbstverständlich schon vorher). Neben den vier im Parlament vertretenen – der rechtskonservativ/islamischen AKP, der kemalistischen CHP, der rechtsextremen MHP und der linken HDP – tut sich in Österreich besonders die „Glückseeligkeitspartei“, Saadet Partisi (SP) hervor. Ende Juni wird ihr Vorsitzender Österreich besuchen. Geplant ist zumindest ein Auftritt in Wels. Ein guter Grund, einen Blick auf diese umtriebige Gruppierung zu werfen.

Zentrale Bezugsgröße der SP ist Necmettin Erbakan, dem Begründer der Millî Görüş („Nationale Weltsicht“)-Bewegung. Aus dieser islamischen Basis-Bewegung entstanden ab den 1970er Jahren immer wieder politische Parteien, die aber regelmäßig verboten wurden. 1996 wähnte sich Erbakan schließlich als Ministerpräsident der Refah Partisi (Wohlfahrtspartei) am Ziel, wurde aber bereits im Jahr darauf vom Militär zum Rücktritt gezwungen. Die Refah Partisi wurde verboten, ebenso ihre Nachfolgeorganisation, die Fazilet Partisi (Tugendpartei, 2001). Schließlich spaltete sich die Szene des politischen Islams in der Türkei in die AKP und die SP, eine Spaltung, die von den Auslandsorganisationen – wie den Millî Görüş-Gruppen – nicht mitgemacht wurde. So finden sich heute bei Millî Görüş in Westeuropa UnterstützerInnen beider Parteien, oder auch dritter, denn insbesondere unter den Jungen scheint sich ein pro-westlicher, demokratischer Flügel zu entwickeln.

Erbakan hingegen strebte einen Staat an, der nach islamischen und nationalistischen Prinzipien zu lenken und ordnen sei. Zweifellos wäre so ein Konstrukt nicht mit einer liberalen Demokratie zu vereinen. Erbakan war außerdem Antisemit und phantasierte unentwegt von einer „zionistischen Weltverschwörung“:

„Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen. Sehen Sie sich diese Ein-Dollar-Note an. Darauf ist ein Symbol, eine Pyramide von 13 Stufen, mit einem Auge in der Spitze. Es ist das Symbol der zionistischen Weltherrschaft. Die Stufen stellen vier „offene“ und andere geheime Gesellschaften dar, dahinter gibt es ein „Parlament der 300″ und 33 Rabbinerparlamente, und dahinter noch andere, unsichtbare Lenker. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung.“ so Erbakan in der „Welt“

Der heutige Parteivorsitzende Mustafa Kamalak dürfte ähnliche, vor allem dezidiert anti-westliche Ansichten haben. Der deutsche Verfassungsschutz zitiert ihn hier: „Der Platz dieses erhabenen Volkes (der Türken, Anmerkung T. R.) ist weder die Europäische Union, noch die Union der Kreuzfahrer, noch der Christenclub, sondern die Islamische Union, die seine Brüder geschaffen haben bzw. schaffen werden.“

An der Urne im Heimatland ist die SP nur bescheiden erfolgreich. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2015 brachte man es im Listenverbund mit der faschistischen Büyük Birlik Partisi noch auf 2 %, bei den Neuwahlen im November kandidierte man alleine und kam gerade mal auf 0,7 % der Stimmen. Trotz der weitgehenden Bedeutungslosigkeit in der Türkei und der übermächtigen Konkurrenz durch die AKP ist es der Saadet Partisi ab 2013 gelungen, Strukturen in Europa aufzubauen. Die Funktionäre rekrutieren sich in Oberösterreich aus der Millî Görüş-AnhängerInnenschaft. Regelmäßig werden Saalveranstaltungen und Schulungen organisiert. Der Besuch des Parteivorsitzenden Kamalak in Wels ist ein vorläufiger Höhepunkt dieser Bemühungen.

Meinungsfreiheit hat ihre Grenzen in Linz – zur Friedensdemo am 24. Jänner

Samstag, 24. Jänner auf der Linzer Hauptstraße: „Meinungsfreiheit hat auch ihre Grenzen!“ steht auf einem Schild, davor marschieren neben den veranstaltenden Notabeln der Islamischen Glaubensgemeinschaft und der katholischen Kirche die heimischen SpitzenpolitikerInnen von SPÖ (Klaus Luger, Gertraud Jahn) und Grünen (Rudi Anschober). Zur Samstagsrede schaut auch Landeshauptmann Pühringer vorbei.
Wie eng man diese Grenzen zieht, wird schon im Vorfeld klar gemacht: Neben „keine Flaggen“ oder „kein Geschrei, keine Parolen“ heißt es da auch „keine „ich bin Charlie“ Plakate, seien sie auf deutsch oder auf französisch“. Die weltweite Solidaritätsparole mit den Opfern von Paris ist nicht erwünscht in Linz. Nachzulesen in der Anordnung der „Islamischen Glaubensgemeinde“ an die TeilnehmerInnen.
Ebenso nicht erwünscht – oder zumindest nicht eingeladen – waren kurdischen, alevitische, jüdische und linke Organisationen. Auch das Oberösterreichische Antifa-Netzwerk nicht. Blieb ein relativ skurriles Sammelsurium aus allerhand Moscheevereinen, der Volkshilfe, Migrare und dem Linzer Ableger der faschistischen „Grauen Wölfe“ (Avrasya). Dominiert wurde der Aufmarsch von einem gutem Dutzend „ALIF“-Transparenten. ALIF (Avusturya Linz Islam Federasyonu = Millî Görüş) kann man zu diesem Coup nur gratulieren, Außenstehende müssen wohl den Eindruck einer reinen Millî Görüş-Veranstaltung bekommen haben.
Nun ist es zum einen erfreulich, dass sich auch konservative Muslime gegen Terrorismus aussprechen wollen. Ein ähnliches Engagement „mehrheitsösterreichischer“ Konservativer gegen rechtsextreme Gewalt vermissen wir schmerzlich. Trotzdem: der Ausschluss von einigen der Hauptopfergruppen djihadistischer Verbrechen hinterlässt einen schalen Beigeschmack.
Dass es auch anders geht hat man glücklicherweise zwei Wochen vorher in Wels gezeigt. Auch hier initiierten die Religionsgemeinschaften eine gemeinsame Friedenskundgebung, es wurden aber auch linke kurdisch-türkische und antifaschistische Organisationen zur Teilnahme eingeladen. Und Charlie durfte auch dabei sein.

Thomas Rammerstorfer

PS: Eine Kritik gibt es auch von der Taksim Initiative Linz: http://www.taksiminitiativelinz.at/image-kur-fuer-das-ansehen-des-politischen-islam-im-stil-einer-populistischen-strategie/

1 Veröffentlicht am 22. Jänner 2015 auf verschiedenen Facebook-Seiten
2 Zumindest keine der von mir befragten; ich bitte um Hinweise, falls ich hier falsch liege.