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12. 5. 2014 Migrationsgeschichte von Lichtenegg in Wels

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Eine Vorstellung des geplanten Projektes

Kaum ein Fleckchen in Österreich erlebte seit ´45 mehr Migrationsbewegungen als Lichtenegg. Von den Flüchtlingsströmen ab dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zu den MigrantInnen von heute soll auf 30 Schautafeln die Geschichte des Stadtteils dargestellt werden.

Die Ausstellung wird im Herbst 2014 im Welser Rathaus präsentiert und in Folge an weiteren Orten gezeigt werden.
Ein gemeinsames Projekt des Aktiv Teams Noitzmühle und der Welser Initiative gegen Faschismus – unterstützt von der Stadt Wels im Rahmen der “Heimatstadtideen”.

Referat von Thomas Rammerstorfer und Werner Retzl

Montag, 12. Mai 2014, 18 Uhr

VHS Noitzmühle – Föhrenstraße 13 – 4600 Wels

Fluchtpunkt L. E.

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Der Welser Stadtteil Lichtenegg hat eine reiche Migrationsgeschichte

Der Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland bedeutete für die Gemeinde Lichtenegg den Anschluss an die Stadt Wels. Im Sinne der deutschen Raumordnungspolitik sollten die Städte „Oberdonaus“ vergrößert und industrialisiert werden. In Lichtenegg entstand mit den „Flugzeug- und Motorenwerken“ ein wichtiger Rüstungsbetrieb, dessen enormer Arbeitskräftebedarf bald nur mehr mit „Fremdarbeitern“, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen gedeckt werden konnte. Diese kamen aus Frankreich, Italien, Jugoslawien, der Slowakei und der Sowjetunion und waren unter andrem im Herminenhof und der Trabrennbahn untergebracht. Auch „Reichsdeutsche“ und umgesiedelte SüdtirolerInnen und Rumänien-Deutsche wurden der FMW als Arbeitskräfte zugewiesen, für sie wurde der heute größte Welser  Stadtteil, die Vogelweide, errichtet[1]. Doch es gab deutlich zu wenig Wohnraum: Für die 7000 in den oberösterreichischen Zentralraum umgesiedelten SüdtirolerInnen standen z. B. nur 415 Wohnungen zur Verfügung[2], für die daraus resultierenden sozialen Probleme wurden häufig die schuldlosen Flüchtlinge selbst verantwortlich gemacht[3].

Nach 1945 sollten gewaltige Wanderungsbewegungen Europa in unterschiedlichsten Richtungen durchqueren. Dass viele der Heimatlosen auch nach Lichtenegg kamen, ist der Existenz eines riesigen Barackenlagers zwischen der Dragonerstraße und der Salzburger Straße, dass früher als Kaserne genutzt wurde, zuzuschreiben. Hier fanden zuerst ehemalige KZ-Häftlinge aus Gunskirchen, v. a. ungarische JüdInnen eine neue Bleibe. Der Zustand dieser Menschen nach Folterhaft und Todesmärschen war erbärmlich; noch in Wels starben hunderte an Seuchen und Erschöpfung. Andere jüdische „displaced persons“ aus Osteuropa kamen hinzu: Bald entstand ein Lagerleben mit eigenem Geschäft, einem Gebetsraum, einer Theatergruppe und einer koscheren Schlachterei. Bis 1952 waren alle LagerinsassInnen, im Laufe der Jahre mehrere tausend, weiter gezogen, meist nach den USA oder Israel. War das „jüdische“ Lichtenegg nur ein Zwischenspiel, sollte die nächste Gruppe von MigrantInnen den Stadtteil nachhaltig verändern: Fliehende vor der Roten Armee bzw. der Machtergreifungen kommunistischer Parteien in Osteuropa. Größtenteils waren dies so genannte „Volksdeutsche“, aber auch fremdsprachige Nazi-Kollaborateure aus den vormals besetzten Gebieten, aus Ungarn, Tschechien, der Sowjetunion, der Slowakei und Jugoslawiens. Die neuen Flüchtlinge wollten vielfach bleiben. Der Zentralraum gehörte zur US-amerikanischen Besatzungszone, bot somit relative Sicherheit und hatte vor allem auch einen enormen Bedarf an Arbeitsplätzen. Denn die KZ-Häftlinge, ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen des NS-Regimes hatten Oberösterreichs Industrialisierung weit vorangetrieben, die Zahl der Produktionsbetriebe hatte sich von 1938 auf 1948 verdoppelt.

Im Nachkriegs-Lichtenegg begann ein Phänomen, das man wohl als eine Art „umgekehrter Integration“ bezeichnen kann. Denn die Flüchtlinge schufen soziale Strukturen, die es in diesem Sinne zuvor in Lichtenegg noch nicht gegeben hatte, und bald begannen auch die Einheimischen diese zu nutzen. Zum Friseur ging man zum „Ullig“ ins Lager, einkaufen zu den ungarischen Greislern „Quintus und Horvath“. Die Flüchtlinge hatten auch ihre eigenes Fußballteam mitgebracht, das bald als „Eintracht Wels“ auch einheimische Spieler und Fans anzog. Am nachhaltigsten veränderten die Neuankömmlinge jedoch das Kirchenleben. 1952 wurde die Lagerkirche eröffnet, bis Ende der 50er Jahre waren mehr als die Hälfte der KirchenbesucherInnen alteingesessene LichteneggerInnen. Die Messen wurden in deutscher, tschechischer, slowakischer, russischer und kroatischer Sprache gehalten – kroatische Messen gibt es in der Pfarre übrigens bis heute. Die Kirche ist jedoch mittlerweile eine andere: Seit 1966 besteht anstatt der Lagerkirche die Zeltkirche, die in ihrer namensgebenden Form an das Flüchtlingsschicksal ihrer ErbauerInnen erinnern soll.

Nach der Niederschlagung des ungarischen Aufstandes 1956 strömten weitere Flüchtlinge ins Land bzw. ins Lager 1001. Mit der Stephansiedlung entstand ein eigener Teil Lichteneggs, der Grundankauf wurde von der griechischen Königin Friederike finanziert, StudentInnen aus aller Welt halfen beim Bau (organisiert durch den „Bauorden“). 1958 wurden die ersten Häuser bezogen: „225 Flüchtlinge aus Jugoslawien, 73 Österreicher, 55 Flüchtlinge aus Rumänien, 21 aus Ungarn, 30 aus Polen, 22 aus der Tschechoslowakei und 9 aus Russland untergebracht. Neben 441 Katholiken und 23 evangelischen Bewohnern wohnten in der Siedlung auch 14 orthodoxe Christen und 7 Moslems.“[4] Im Laufe der Zeit wurden die ungarischen EinwohnerInnen der Stephanssiedlung mehr: Arzt (Dr. Haberbusch) und Greisler (Horvath) stammten aus Ungarn, und nach dem ungarischen Nationalheiligen Stephan wurde nicht nur die Siedlung, sondern auch eine Straße und die ganze Pfarrgemeinde benannt. Dazu kamen die Ungarnstraße und jüngst die Matthias-Corvinus-Straße, benannt nach einem ungarischen König.

Mit dem aus „Mitteln der Nächstenliebe“ von einer Schweizerin finanzierten „Dora-Little-Haus“ entstand eine weitere Anlaufstelle für Vertriebene, es wurde ab Ende der 60er Jahre insbesondere von Kriegsflüchtlingen aus Vietnam und Kambodscha genutzt. Bereits 1968 feierte ein vietnamesischer Katholik seine Primiz in der Lichtenegger Pfarre.

Die ArbeitsmigrantInnen aus Jugoslawien und der Türkei, die in den 60er-Jahren angeworben wurden, kehrten meist wieder in ihre Heimat zurück. Am Beginn der 80er kamen politische Flüchtlinge aus der Türkei und Polen, die vor den dortigen Diktaturen flüchteten.

Ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückten die neuen MigrantInnen aber erst mit den späten 1990er-Jahren, als in der Noitzmühle vermehrt MigrantInnen aus der Türkei zusiedelten. Der Anfang der 1970er für die damalige österreichische Durchschnittsfamilie (Eltern und 3 Kinder) konzipierte Teil von Lichtenegg wurde vielfach nicht mehr den Anforderungen der neuen „Single mit Kind“-Familien gerecht. Die großen Wohnungen erfüllten die Anforderungen großer Familien, die unter den ÖsterreicherInnen immer seltener zu finden waren. Zudem ist der Arbeitskräftebedarf der Stadt bzw. der Region nach wie vor enorm.

 Es waren vor allem die Volksdeutschen, später die UngarInnen und heute die Menschen aus der Türkei, die aus dem Dorf Lichtenegg einen modernen Stadtteil einer der reichsten Regionen Österreichs machten. Das ganze ging nicht ohne Anpassungsschwierigkeiten, ohne Konflikte und Vorurteile. Gerade letztere wurden und werden nahezu wortgleich bald über diese, bald über jene Gruppe von Einwanderern verbreitet. So berichtet die Donauschwäbin Vera Tichy-Nimmervoll:  

„Die Heimatvertriebenen spürten oft eine unverhohlene Geringschätzung seitens der einheimischen Bevölkerung und standen dieser skeptisch gegenüber. Die Welser Bevölkerung hatte gegenüber dem am Stadtrand liegenden Flüchtlingslager gewisse Vorurteile, denn Elend und Unsicherheit waren grausame Wirklichkeit. Ich kann mich noch gut erinnern: Wenn meine Mutter in der Stadt etwas bestellte und daher ihre Adresse bekannt geben sollte, sagte sie immer Schulstrasse 15 und nie Lager 1001. Ich vermute, es war ihr peinlich, die wahre Adresse bekannt zu geben.“[5]

Pfarr-Chronist Bertholt Simbrunner beschrieb die Ressentiments gegenüber die UngarInnen: „Häufig vernahm man in der Bevölkerung und in den Zeitungen Klagen über die Ungarnflüchtlinge. Hatte man früher nur mit Bewunderung von ihnen gesprochen, so war es plötzlich still um sie geworden. Bisweilen hörte man, sie wollen nicht arbeiten und würden nicht genügend beschäftigt, stellten zu hohe Ansprüche, seien zum Großteil überhaupt nur Abenteurer.“[6]

Trauriger Höhepunkt der ab den 1980ern von diversen Parteien und Medien hochgepuschten Fremdenfeindlichkeit war ein neonazistisch motivierter Brandanschlag auf ein Haus in der Porzellangasse 1997, bei dem ein Mazedonier zu Tode kam.

Vergleicht man die Reaktion auf Zuwanderung damals wie heute erkennt man Ähnlichkeiten bei gewissen fremdenfeindlichen Einstellungen, aber auch deutliche Unterschiede. So gab es früher weder Parteien noch Medien, die organisiert gegen die „Volksdeutschen“ hetzten. Die FPÖ bzw. ihr Vorläuferpartei VdU sah sich sogar als Partei dieser Flüchtlinge (zumindest der „deutschen Volksgenossen“). Durch die vergleichsweise rasche Einbürgerung waren die Volksdeutschen mit rund 10 % der oberösterreichischen Bevölkerung bald auch ein WählerInnenpotential, auf welches keine Partei verzichten wollte. 

Thomas Rammerstorfer 

 Artikel aus: ANTIFA-FORUM 2013


[1] Über zwei Drittel der Wohnungen in der Vogelweide verfügte die FMW

[3] Siehe auch Christoforetti, Rudi: Rieche, es ist die deutsche Faust: ein Südtiroler „Optantenjunge“ erlebt die NS-Zeit in Wels, Wien 1999

[4] Berthold Simbruner, Die Enstehung der Pfarre St. Stephan, Wels-Lichtenegg

[5] Tichy-Nimmervoll, Wir Kinder vom Lager 1001, Linz 2010

[6] Berthold Simbruner, Die Enstehung der Pfarre St. Stephan, Wels-Lichtenegg