Zwei widerliche Kampagnen gegen türkischstämmige Fußballer

…laufen derzeit quasi parallel:

Da hätten wir zum einem die Vorwürfe gegen den österreichischen Teamkeeper Ramazan Özcan, er hätte absichtlich, quasi aus Loyalität zur „alten Heimat“, den Siegestreffer der Türkei gegen Österreich im Ländermatch am 29. März verursacht. Zahlreiche rechtsextreme Schmuddelseiten beteiligten sich an der Hetze gegen Özcan, auch diverse ÖFB-Fanseiten gingen mit entsprechenden postings über. In einer – freilich nicht repräsentativen – Internet-Umfrage von „Heute“ („Glauben sie auch an einen absichtlichen Fehlpass von Özcan?“) gaben fast 37 % der LeserInnen an: „Ich kann mir das schon vorstellen“ (1).

Nun konterten türkische Nationalisten mit einer eigenen Kampagne. Im Internet kursiert ein Aufruf an Spieler mit türkischem Migrationshintergrund: „Tretet von der österr. Nationalmannschaft zurück“ ist da zu lesen. Darunter befinden sich Bilder der Spieler Yasin Pehlivan, Veli Kavlak, Ramazan Özcan und Ümit Korkmaz (wobei sich nur Özcan im aktuellen Kader des ÖFB-Teams befindet). Dazu noch zwei Bilder kurdischer bzw. Öcalan-Fahnen im Fansektor des ÖFB-Teams sowie ein Faksimile besagten „Heute“-Artikels. Man behauptet weiters, es werde „gegen unser Vaterland gehetzt und die Terrororganisation PKK explizit unterstützt“:

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Einer der eifrigsten Verbreiter des Boykott-Aufrufes ist der Linzer Medienunternehmer Irfan Ünsal. Im Herbst hat Ünsal, der der AKP nahe steht, noch fleißig für die Linzer SPÖ wahlgekämpft. Trotz seiner zahlreichen Kanäle stößt der Aufruf in der türkischen Community aber nur auf wenig Resonanz. Die diversen Aufrufe und Beschimpfungen der österreichischen wie der türkischen RassistInnen zeigen aber mal wieder, wie ähnlich sich diese Armen im Geiste eigentlich sind.

Thomas Rammerstorfer
t.rammerstorfer@gmx.at

(1) http://www.heute.at/sport/fussball/international/oefbteam/OeFB-Fans-unterstellen-Goalie-Oezcan-Absicht;art57342,1271732

8. 4. 2016: „Und in der Mitte, da sind wir“ Film und Diskussion (Alkoven)

mitte

Film – anschließend Diskussion mit Thomas Rammerstorfer und anderen Gästen

Im Mai 2009 kam es in Ebensee, einem kleinen Ort im ländlichen Österreich, zu einer rechtsradikalen Störkaktion durch ortsansässige Jugendliche während der alljährlichen KZ-Gedenkfeier. Regisseur Sebastian Brameshuber nahm den Vorfall zum Anlass, um ein Jahr lang drei Jugendliche aus dem Ort beim älter werden zu begleiten: von der Softgun zur Gitarre, von der Lederhose zu DocMartens, von der Schulbank ins Berufsleben. Mit nüchternem Blick und klaren Bildern zeichnet UND IN DER MITTE, DA SIND WIR ein unromantisches Portrait einer Generation, die zwischen Brauchtum und McDonalds, zwischen vorgestern und übermorgen versucht, ihren Weg zu finden. Ein intimes Stück Zeitgeschichte.

http://www.indermitte-derfilm.com/
https://www.facebook.com/indermitte.derfilm/?fref=ts

Eintritt: Freiwillige Spende!

Besonderer Dank gilt unseren Kooperationspartnern:

Crossing Europe Filmfestival Linz
http://www.crossingeurope.at/
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Die Grünen Alkoven
https://www.facebook.com/Die-Grünen-Alkoven-208216256043367/?fref=ts

Graue Wölfe auf Expansionskurs

Der Linzer Bürgermeister Luger hat nun endlich angekündigt, eine von mehreren Forderungen von AntifaschistInnen zu erfüllen und die „Grauen Wölfe“ (Avrasya) aus dem Linzer Integrationsbeirat zu komplementieren. Grund ist das Bild eines Avrasya-Vorstandsmitglieds auf einem Gedenkstein im ehemaligen KZ Mauthausen, das diesen beim „Wolfsgruß“ zeigt. Die Sache hat eine Vor- und eine Nachgeschichte.

Am 20. und 21. Februar kam es zu Auftritten einer türkisch-nationalistischen Theatergruppe in Linz und Wien. In Linz war man im Volkshaus Neue Heimat zu Gast, was schon im Vorfeld zu Protesten des Antifa-Netzwerkes führte (1), die von der Linzer SP wie gewohnt ignoriert wurden. Auf dem Weg des Trosses, bestehend aus den aus der Türkei angereisten Theater-Menschen und heimischen Grauen Wölfen, kam man dann auf die ulkige Idee, in Mauthausen ein paar Erinnerungsfotos zu schießen. So weit, so schlecht.

Drei Wochen später, am 13. März 2016, veröffentlichten die Linzer Grünen ein Bild aus dieser Reihe. Der abgelichtete Schriftführer von Avrasya, Abdurrahman A., bedauerte die Aufnahme, wortreich, aber eingedenk von ebenso einschlägigen Bildern auf seiner Seite reichlich unglaubwürdig. Der Verein Avrasya selbst brachte nicht mal eine Entschuldigungs-Floskel zustande. Vielleicht hat man auch keine Zeit gefunden, immerhin gab es ja am Wochenende der Veröffentlichung eine große Sause: Die Eröffnung eines neuen Graue Wölfe-Stützpunktes in Friedburg im Bezirk Braunau.

Die Grauen Wölfe auf Expansionskurs: Neue Lokale in Ried i. I., Wels, Bergheim und Friedburg

Seit Jahren expandieren die Grauen Wölfe, insbesondere in der Region von Oberösterreich südlich der Donau bis ins Umland der Stadt Salzburg. Oberösterreichische, Salzburger und bayrische Rechtsextreme kooperieren hier anscheinend eng. 2013 eröffneten die Grauen Wölfe in Ried im Innkreis, 2014 in Wels. Im gleichen Jahr wurden in Bergheim bei Salzburg zwei Bürogebäude erworben und umgebaut, es folgt nun ein ehemaliges Autohaus in Friedburg. Das sind keine kleinen Investitionen: Allein der Kauf in Bergheim kostete 900 000 Euro. Laut Auskunft gegenüber dem „Salzburger Fenster“ (2) wurden 30 000 mittels Spenden aufgebracht, der Rest – das wären noch schlappe 870 000 Euro – per Kredit. Umso bemerkenswerter ist der teure Expansionskurs eingedenk der jüngsten teuren Wahlniederlagen der Mutterpartei der „Grauen Wölfe“, der MHP: letzten Herbst konnte sie in Österreich gerade mal 7 % der türkischen WählerInnen erreichen. Auch insgesamt gab es herbe Verluste, man hält 12 % in der türkischen Nationalversammlung.

„Wir“ und sie: Zwischen Unwissenheit und machtpolitischen Kalkül

Bei der Eröffnung im März 2016 in Friedburg gab es auch eine Reihe von Ehrengästen: Neben Führern der Wölfe aus Österreich und Deutschland gaben sich auch zwei Bürgermeister aus der Region die mit osmanischem Tam-Tam inszenierte Veranstaltung. Ich gehe davon aus, dass die beiden nicht genau wussten, wo sie da eigentlich waren und verzichte auf eine namentliche Nennung. Sie stehen für das eine Problem im Umgang mit Extremismus unter MigrantInnen, die weitgehende Ahnungslosigkeit. Für das andere, das machtpolitische Kalkül, steht Klaus Lugers Linzer SPÖ. Die letzten fast 10 Jahre befand sich die Sozialdemokratie der Stahlstadt, und nicht nur die, auf einem Kuschelkurs mit den Grauen Wölfen. Man holte sie in den Integrationsbeirat, auf den 1. Mai-Aufmarsch, es gab Subventionen und Besuche. Im Gegenzug unterstützten politisch rechts stehende Menschen mit türkischem Migrationshintergrund die SPÖ, wobei bei den letzten Gemeinderatswahlen 2015 auffallend viele SP-KandidatInnen aus dem erstarkenden religiös-konservativen Spektrum kamen.

(1) http://ooe.kpoe.at/article.php/2016012723363518
(2) http://www.salzburger-fenster.at/redaktion/aktuelle_berichte/tuerkische_graue_woelfe_bauen_ihr_netzwerk_aus_art10922/

Spartas Speerspitzen des Rückschritts: Die Identitären

aus: Versorgerin Nr. 109 (http://versorgerin.stwst.at/)

Die „National Partei Österreichs“, die „Republikanischen Patrioten“, die „Alternative für Österreich“, diverse „Pegidas“ und „Bürgerwehren“… aus dem derzeitigen bundesweiten Wildwuchs an Gruppierungen neben und rechts der FPÖ stechen die „Identitären“ als vermutlich professionellste Kraft hervor.
Großspurig sieht man sich als „die erste freie, patriotische Kraft, die sich aktiv und erfolgreich für Heimat, Freiheit und Tradition einsetzt“ (1). Spektakuläre, provokante und via social media gut vermarktete Aktionen haben ihnen zumindest kurzfristig den gewünschten Medienhype beschert. Mittlerweile sind die Identitären in allen Bundesländern organisiert. Seit Jahresbeginn vergeht kaum eine Woche ohne aufsehenerregende Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen.

Die Idee

„Völlige Übereinstimmung, Gleichheit, Wesenseinheit“ fällt dem Wörterbuch zum Begriff „Identität“ ein. Die Grundannahme der Identitären ist demzufolge, es gäbe ein österreichisches bzw. europäisches Volk, das in seiner Wesensart und in weiterer Folge auch seinen Interessen übereinstimmt. Dies gilt es „GEGEN diesen Multikulti Wahnsinn gegen die Masseneinwanderung und gegen die Islamisierung“, und natürlich gegen die inneren Schweinhunde, die Kollaborateure „von den Konzernen, Politikern und linken Medien“.
Und wenn man sich schon inhaltlich an den einfachen Gut/Böse-Schemata von Märchen, Sagen und Hollywood-Schinken bedient, kann man auch gleich die Optik mit übernehmen. Dabei scheinen die Identitären vor allem vom Neo-Sandalenfilm „300“ inspiriert, der eine fiktionalisierte Begebenheit aus den Perserkriegen erzählt: König Leonidas und seine 300 tapferen spartanischen Recken verteidigen Griechenland gegen eine zahlenmäßig weit überlegene, aber eben weit weniger tapfere (weil kulturell auf niederer Stufe stehender) persische Armee. Dieser verfilmte „Männlichkeitsirrsinn um Blut, Boden und Kriegerehre“ (2) fand offenbar in den Identitären einige SeherInnen, die ihn tatsächlich ernst nahmen. So findet sich das „Lambda“-Symbol aus dem Film auch auf den Schildern (!), Fahnen und sonstigen Propaganda-Klimbim der Bewegung. Wie ihre filmischen Vorbilder wähnen sich die Identitären als letzte Hoffnung zur Rettung des Kontinents vor den anstürmenden asiatischen Horden:
„Es geht mittlerweile um unser nacktes Überleben als Österreicher und Europäer. Wir haben keinen Rückzugsraum mehr“
und
„Wir sind die Bewegung, deren Generation für einen falschen Blick, weil sie jemand eine Zigarette verweigert oder eine andere Art sich zu kleiden hat, getötet wird.“
Solcherart dem Tode geweiht gibt man sich kämpferisch. „Wir wollen unser Erbe und unser Land erhalten. Wir wollen die identitäre Idee auf die Straße tragen. Patriot ist, wer nicht nur redet, sondern auch handelt“ und verbal abenteuerlustig, wie`s der pubertierende Spießer nun mal gern hat: „Noch mehr vereint uns aber die Sehnsucht nach einer Wende und die Suche nach einem Abenteuer. Wir haben ihr langweiles Konsumleben satt, wir wollen hinein ins echte Leben!“ (3)
Und Gewalt gehört da auch dazu: „Wir wollen dem gesamten patriotischen Österreich (…) eine Stimme, ein Gesicht und eine Faust geben“.

Die Identitären als Organisation

2003 wurde ein „Bloc identitaire“ von französischen Rechtsextremisten gegründet. Offen faschistische und rassistische Ideen waren bzw. sind in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert, so konstruierte die „Neue Rechte“ ihre Feindbilder um. Man sah sich nicht mehr als Vertreter eines klassischen Nationalismus oder Rassismus, sondern eines an „Kulturkreisen“ angelehnten „Ethnopluralismus“. Sprich: Alle „Völker“ sind eh lieb und nett, aber man soll sie bitte nicht mischen, weil dies unweigerlich in der Apokalypse endet.
Im deutschsprachigen Raum kam die neue Idee mit Verspätung an. Lange hatten die Alt-Nazis eine „Modernisierung“ des Faschismus verhindert. Optisch und kulturell hatte man sich zwar schon ab den 1980ern bei den Jugendbewegungen bedient, ein wirklicher inhaltlicher Neuanfang abseits des Hitlerismus hatte jedoch nicht stattgefunden bzw. blieben die entsprechenden Versuche auf kleine Zirkel beschränkt. Erst ab 2012 wurde die „Identitäre Bewegung“, inspiriert von den medialen Erfolgen ihrer französischen Pendants, in Deutschland und Österreich aktiv. Ihren ersten breit rezipierten Gag feierten die Wiener mit einer symbolischen „Gegen-Besetzung“ der zu diesem Zeitpunkt von Flüchtlingen okkupierten Votivkirche. Die taktische Vorgabe schien von Beginn an klar: Mit möglichst geringem Aufwand und Risiko soll maximaler Wirbel erzeugt werden, zum einen um die „normalen“ Medien zu erreichen, zum anderen um durch die Reproduktion der Aktionen via social media in Kontakt mit GesinnungsfreundInnen zu kommen. Inhaltlich konzentriert man sich vorrangig auf simple rassistische Botschaften (gegen AsylwerberInnen, gegen Muslime) bei gleichzeitiger Distanzierung von Rassismus, Faschismus etc… Auch optisch wird jede Bezugnahme zum Nationalsozialismus oder rechtsextremer Jugendkulturen wie der Skinheads tunlichst vermieden. Wir sind anders, möchte man sagen, keine hirnlosen Schläger in Bomberjacke oder Braunhemd, sondern besorgte junge BürgerInnen.
Die österreichischen Identitären dürften in Relation schon deutlich aktiver und „erfolgreicher“ sein als ihre deutschen GesinnungskameradInnen. Rechtsträger und Betreiber der österreichischen „Bewegungs“-Homepage ist der „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“, dessen Vorstand die Brüder Thomas und Martin Sellner bilden. Neben Wien kann man die Steiermark und Salzburg als Hochburg ausmachen. In Oberösterreich schwächelt die „Bewegung“ etwas. Einen regelmäßigen Stammtisch gibt es nur in Linz, Aktivitäten vereinzelt noch in Freistadt.

Neo-SalafistInnen und Identitäre: Jugendkulturen in und gegen eine globalisierte Welt

In Michel Houellebecq`s 2015 erschienenen Roman „Unterwerfung“ wenden sich zwei ehemalige Mitglieder der „Identitären“ dem politischen Islam zu. Sie sehen dort ihr reaktionäres Weltbild besser vertreten. Beschrieben wird hier kein neuer Wechsel: Das „Switchen“ von einer autoritären Ideologie zur anderen ist kein Massenphänomen, immerhin muss man dazu auch sein gesamtes soziales Umfeld auswechseln, passiert aber schon immer wieder mal. So finden sich im salafistischen Milieu ehemalige militante „Antiimperialisten“ von links genauso wie „geläuterte“ Neonazis (4). Das mag befremden, sind doch die MuslimInnen (und/oder AsylwerberInnen) das einigende Feindbild aller rechten Szenen und Milieus. Doch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Extremen sind vielfältig: (antisemitische) Verschwörungsmythen, autoritär-patriarchale Strukturen, die Aufwertung des Eigenen durch Abwertung der Anderen, apokalyptisches Endzeitdenken, das Gefühl permanent benachteiligt oder gar verfolgt zu werden, die Ablehnung der als „hedonistisch“ wahrgenommenen „westlichen“ Welt… viele Gemeinsamkeiten in grundlegenden Fragen sind gegeben. Am fast auffallendsten ist die Sehnsucht nach einer heilen, sittenstrengen Idylle, die – wie könnte es bei so viel Angst vor der Zukunft auch anders sein – in der Vergangenheit liegt. Während sich die einen an den „ehrwürdigen, rechtschaffenen Vorfahren“ (arabisch „as-Salaf aṣ-Ṣāliḥ“), also den Gefährten und Nachfolgern Mohammeds orientieren, sind es bei den anderen die europäischen Gemeinschaften und Abwehrkämpfer gegen die „außer-kontinentalen“ Invasoren, die da stets aus dem Süden und Südosten antanzen. Man spintisiert sich in eine Traditionslinie, die von den Spartanern über Karl Martell bis zu Prinz Eugen und weiter reicht.
AnhängerInnen des politischen Salafismus wie auch der „Identitären Bewegung“ nutzen ähnlich geschickt die Vorteile der globalisierten Welt, trotz dem sie sich in ihr so unwohl fühlen. Allen voran die Mobilität von Nachrichten, Werbung und Personal im global digital village. Insbesondere des web 2 mit seinem Bilder- und Sprüchefetisch bedient man sich, ja man überflutet es regelrecht. Kaum ein Flugblatt, das in einen Briefkasten wandert, ohne dabei fotografiert und anschließend hochgeladen zu werden, kaum ein Sticker, Plakat oder Transparent im öffentlichen Raum, dessen Abbild nicht noch tausende Mal auf facebook reproduziert wird. Man versucht sich als permanent aktiv zu inszenieren und ruft auf, es einem gleichzutun. Hauptziel bleibt es jedoch, es über die Grenzen der social media communities noch in die Mainstreammedien zu schaffen. Das ist zwar zum einen in der österreichischen Medienlandschaft nicht allzu schwer – im Dezember 2015 wurde ein Identitärer sogar ins „Bürgerforum“ des ORF geladen – nur muss man sich stets was Neues einfallen lassen, der Boulevard verliert sonst schnell das Interesse an einem. Die Tat an sich zählt wenig, die Medien sind alles. Das aufsehenerregende Verteilen einiger Pfeffersprays an PassantInnen in Wien Mitte Februar birgt wahrscheinlich mehr Gefahren als Sicherheit für diese, egal, was zählt, wir sind aktiv, und wir haben Angst geschürt, und wir bieten die Lösung: Selbstjustiz.
Solche Aktionen sowie die jüngst aus dem heimischen Boden sprießenden „Bürgerwehr“-Projekte dienen natürlich auch dazu, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen, die Demokratie verächtlich zu machen, als schwach und wehrlos darzustellen. Mit ähnlicher Intention gingen deutsche Salafisten als „Sharia Police“ 2014 im Wuppertal auf Tour. Die ExtremistInnen als Hüter von Recht und Ordnung, einig gegen die Dekadenz der liberalen Gesellschaft. Eigentlich könnten die Fans von Sparta und den Salaf fast gemeinsam auf Streife gehen. In der Wüste soll es schön sein.

Thomas Rammerstorfer

1 Alle Zitate, so nicht anders gekennzeichnet, von https://iboesterreich.at/ (Rechtschreibfehler im Original)
2 http://www.filmzentrale.com/rezis/300js.htm
3 Flugblatt „Einladung zur Veranstaltung: Die identitäre Bewegung in Österreich“
4 Siehe z. B.: „Nazi und Boxer konvertiert zum Islam“ auf https://www.youtube.com/watch?v=d-AKW7AQAcs

Zum Auftritt von Karin Leukefeld in Linz

Von einigen FreundInnen wurde ich gefragt, was ich von der geplanten Syrien-Veranstaltung des Bündnisses „Linz gegen Rechts“ und der Volkshochschule Linz mit Karin Leukefeld halte… naja, dann gebe ich halt meinen Senf dazu…
Karin Leukefeld ist eine deutsche Journalistin und wird in gewissen Kreisen als Syrien-Expertin gehandelt. Sie ist Korrespondentin für die ehemaligen DDR-Blätter „Junge Welt“ und „Neues Deutschland“ und berichtet dort seit 2010 regelmäßig aus Syrien. Dazu macht sie Reportagen für verschiedene Rundfunkanstalten und ist insbesondere in der Szenen der rechtslastigen und obskurantistischen VerschwörungsthoretikerInnen wie bei „kenFM“ gefragte Interviewpartnerin. Oft wird sie aber auch von pazifistischen und marxistischen Gruppen eingeladen. Sie hat eine homepage (www.leukefeld.net), wo einige ihrer Texte und Hörfunkbeiträge zu lesen sind, auf facebook oder twitter ist sie nicht zu finden. Ihr aktuelles Buch „Flächenbrand“ hab ich mir bestellt, es ist aber in Neuauflage und noch nicht eingetrudelt. So bin ich auf Internet angewiesen.
Von KritikerInnen wird ihr u. a. unterstellt, dem Assad-Regime unkritisch, zu wenig kritisch bzw. positiv gegenüber eingestellt zu sein. Ihre Grundthesen, zumindest stellt es sich mir aus den online vorliegenden Artikeln so da, sind relativ leicht erklärt:

– Am Bösen auf der Welt, insbesondere in Nahen Osten, sind Israel und die USA Schuld. Ein bisschen vielleicht noch Europa.
– Syrien war ein aufstrebendes Land, das plötzlich und ohne größere Mitverantwortung der eigenen Regierung durch ausländische Mächte in einen Bürgerkrieg gestürzt wurde.

„Der von außen angeheizte Krieg, die politische Isolierung und die Sanktionen von USA und EU haben ebenso die aufblühende Ökonomie zerstört wie die syrische Reformbewegung“ (1) schreibt sie. Dass die Sanktionen z. B. der EU erst verhängt wurden, als der Aufstand gegen Assad bereits begonnen hatte (im November 2011), scheint ihr entgangen zu sein.

Zur syrischen Ökonomie meint sie weiters:
„Das Land boomte, 5 Jahre, also von 2005 bis 2010, 2011 hat es geboomt, unglaublich.“ (2)
Das ist freilich unglaublich, da hat sie Recht. Denn alle anderen Stimmen zum Thema machen für die Protestbewegung gegen Assad eine ökonomische Krise zumindest mitverantwortlich.

Auch in einem Artikel mit dem Titel „Wachsende soziale Spannungen in Syrien“ in „Neues Deutschland“ vom 18. Oktober 2006 hört sich das ein bisschen anders an: „Nach dem Krieg in Libanon befindet sich auch die syrische Wirtschaft auf Talfahrt. Die ohnehin prekäre soziale Situation im Land hat sich verschärft.“ (3) Autorin: Karin Leukefeld.
Spannend. Man kann ja als Journalistin schon mal daneben hauen, aber zwischen einer ökonomischen „Talfahrt“ und einem „unglaublichen Boom“ sollte man schon differenzieren können. Außer es geht einem darum, das Assad-Regime rückblickend schön zu reden.

Auch in der syrischen Geschichte scheint die „Expertin“ nicht allzu sattelfest zu sein, so bezeichnet sie Syrien immer wieder als ehemaligen Teil des „Ostblockes“, ja laut „Freitag“ sogar des „Warschauer Paktes“ (4) – ersteres eine sehr gewagte These, zweiteres schlicht Unfug.

Quellen für ihre Behauptungen kann sie in der Regel natürlich auch nicht nennen, was auch kritisch-lesen.de in einer an sich positiven Rezension ihres aktuellen Buches anmerkt:
„Ein riesiger Mangel liegt in der schlampigen Form: ein Literaturverzeichnis fehlt vollständig, Fußnoten werden nicht verwendet, Verweise, Zitate und Quellen im Allgemeinen werden meist gar nicht oder nur sehr schlecht in Klammern nachgewiesen. Das ist umso schlimmer, da es sich gerade was die Quellen angeht, um ein sehr sensibles Thema handelt.“ (5)

Warum Leukefeld trotz ihrer parteiischen, unwissenschaftlichen, sich widersprechenden und zeitweise schlicht falschen Behauptungen Erfolg hat? Es gibt wohl ein gewisses Milieu an linken und rechten ObskurantInnen, das förmlich nach „alternativen“ Welterklärungen dürstet, besonders solchen, in denen die USA und Israel die Bösewichter sind.

Leukefeld in Linz

Ich muss ehrlich sagen, wenn man einen Blick auf die Diskussion rund um die Veranstaltung wirft, dann kann einen schon das Grauen kommen. Auf der facebook-Seite zum Vortrag werden die KritikerInnen von Leukefeld untergriffig beschimpft, und „Linz gegen Rechts“ hält es scheinbar nicht für nötig diese Kommentare zu löschen. Eine junge kurdische Linke, Ceylan Ö., die sich erdreistete eine kritische Anmerkung zu posten, wird als „Rotzbirne“ etc. bezeichnet. Einige dieser „Kommentare“ sind mittlerweile seit 2 Wochen online:

Engin K. empört sich: „(…) was gäbe es denn mit dir zu diskutieren du flasche ? ja die mossad ist offizieller unterstützer der Pkk. stören dich fakten ?“

Udo Feyerl, Kandidat für die Linzer SPÖ bei den Gemeinderatswahlen 2015, jubelt: „genial formuliert engin. das kommentar hat mich köstlich amüsiert – wenngleich ein bisschen sehr aggressiv“

Claus Wiesinger (2015 Kandidat der Piratenpartei) an Ceylan Ö.: „Geh scheissn, hast wohl nix besseres drauf als so ein paar Kommentare unter der Gürtellinie. Argumentloses Stück Volltrottel“ (6)

„Linz gegen Rechts“ ist laut eigener Bekundung freudig überrascht über den großen Zuspruch zur Veranstaltung. Auf die Kritik hat man bislang nur mit Wohlfühl-Parolen a la „kann ja jeder kommen und sich eine Meinung bilden“ reagiert.
Wer da alles kommen wird ist den KollegInnen wohl nicht ganz klar. Mittlerweile wird die Veranstaltung auch in den Kommentaren auf der facebook-Seite des rechten „Info Direkt“-Magazins empfohlen.

Thomas Rammerstorfer

1 http://leukefeld.net/?p=303
2 https://www.youtube.com/watch?v=FGnwqAbCKcs, ab Minute 13.30
3 http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Syrien/spannungen.html
4 https://www.freitag.de/autoren/asansoerpress35/karin-leukefeld-die-waffen-muessen-schweigen
5 http://www.kritisch-lesen.de/rezension/vom-lokalen-aufstand-zum-internationalen-krieg
6 Rechtschreibung und Grammatik bei den Zitaten in Original

9. 3. 2016: Rechtsextreme Jugendkulturen und Musik (St. Pölten)

jun

Gerade viele Jugendliche sind gefährdet, in die rechtsextreme Szene abzugleiten. Bestehende rechtsextreme Jugendkultur bietet für viele den ersten Kontakt zur Szene. Beim Themenabend werden wir das breit-gefächerte Netzwerk dahinter gemeinsam beleuchten. Einen Schwerpunkt werden wir auch auf Musik legen – Was haben beispielsweise Andreas Gabalier und Bands wie Frei.Wild gemeinsam und inwiefern könnten sie unter Umständen ein Einstieg in die rechte Szene sein? Mit diesen und anderen Fragen werden wir uns gemeinsam mit dem Experten Thomas Rammerstorfer beschäftigen.

Wann? Am Mittwoch, 9.3. um 18:30
Wo? Hotel Graf – Bahnhofplatz 7 – St. Pölten
Was: Themenabend zu rechtsextremer Jugendkultur und Musik.

Thomas Rammerstorfer, recherchiert zum Thema Rechtsextremismus in Österreich und der Türkei und veröffentlicht seine Ergebnisse regelmäßig in diversen Magazinen und Zeitschriften

Alle interessierten Menschen sind herzlich eingeladen vorbeizukommen und Freund*innen mitzubringen – Anmeldung ist nicht erforderlich! Um besser planen zu können, freuen wir uns jedoch über eine Event-Zusage hier oder ein Mail an noe@junge-gruene.at

Die Mitte und die raue See

aus gfk (Gesellschaft für Kulturpolitik) 01/2016
„Mitte. Eine Frage der Kultur“
www.gfk-ooe.at

Als sich im Revolutionsjahr 1789 die Abgeordneten zur ersten ständeübergreifenden französischen Nationalversammlung einfanden, ahnten sie wohl nicht dass ihre Platzwahl noch über 200 Jahre später als Schema für politische Kategorisierungen dient. Links die Progressiven, rechts die Konservativen, so sollte es bleiben, für alle Zeiten. Doch bald wurde alles ein bisschen komplizierter: Liberalismus, Demokratie, Nationalismus, Marxismus, Anarchismus und fröhliche weitere –ismen fanden ihre AnhängerInnen, die sich alsbald darum (und jeweils untereinander) stritten, wer nun linker oder rechter, gemäßigter oder radikaler sein wollte und wirkte. Gegen das Gezeter der Flügelkämpfer brachten sich nun Parteien der Mitte in Stellung. Und die Mitte sprach: Wir sind vernünftig. Die anderen stürzen uns mit ihrem Extremismus ins Verderben. Doch die ihr (von sich selbst) zugedachte Rolle der Unschuld vom Lande konnte die Mitte nur selten erfüllen.
Die politische Mitte der Zwischenkriegszeit war vor allem christlich geprägt. Die besitzenden Stände, Bürger und Bauern, dominierten die Parteien und schrieben deren Programme. Mit den sich im 19. Jahrhundert herausgebildeten christlichen Soziallehren konnte man aber auch zumindest das provinzielle Proletariat ansprechen. Über weite Strecken der 1920er regierten die Konservativen Deutschland und Österreich. Und regieren können Konservative ganz gut, so lange sich das Weltenschiff in halbwegs ruhigen Gewässern befindet. In stürmischen Zeiten jedoch weniger. Und der Sturm kam 1929 mit der Weltwirtschaftskrise. In Deutschland zerbröselte die Mehrheit der Mitte und der – sich inhaltlich den Konservativen aufopfernden – SozialdemokratInnen. Und weil man die Nazis zwar doof fand, sie aber wenigstens nicht an der angeblichen Rechtmäßigkeit des Besitzes der Besitzenden rüttelten, unterstützte man sie. So kam es, dass 1933 sämtliche Abgeordneten der konservativen Parteien – immerhin noch mehr als hundert – für Hitlers Ermächtigungsgesetz und damit für die NS-Diktatur stimmten.
In Österreich beschränkten sich die Konservativen nicht auf die Rolle der Steigbügelhalter des Faschismus. Nein, man wollte diesen hässlichen Gaul selber reiten. Wie in anderen Staaten Süd- und Osteuropas radikalisierten sich Christlich-Konservative zum Faschismus. Ein Phänomen, für das der US-amerikanische Soziologe Seymour Martin Lipset den Begriff „Extremismus der Mitte“ prägte. Sie besagt, dass in Krisenzeiten weite Teile der so genannten „Mitte“ ihre vermeintlich hehren Werte und Ideale über Bord zu werfen bereit sind.
Nach 1945 war die Mitte nicht mehr wiederzuerkennen. Man bekannte sich – teils aus ehrlicher Überzeugung, teils aus Opportunismus – glühend zu Demokratie und Menschenrechten. Deutschnationalismus und Antisemitismus waren verpönt. Ja, selbst die allein seelig machende Wirkung der kapitalistischen Produktionsweise durfte in den ersten Programmen der CDU und der ÖVP angezweifelt werden. Entsprechende Passagen über einen „christlichen Sozialismus“, etwa aus dem Ahlener Programm der deutschen ChristdemokratInnen, wurden allerdings mit Beginn des Kalten Krieges rasch entsorgt. Die Schrecken des „Dritten Reiches“ im Hinterkopf und die des „Realsozialismus“ vor Augen wähnte sich die Mitte spätestens ab Ende der 1940er wieder als der großen moralischen Sieger der Geschichte, oder zumindest als letzten Hort der Besonnenheit. Gesellschaftspolitisch lief man wenig begeistert, aber doch, den Geister der Zeit hinterher.
Mit der ideellen und quantitativen Erosion des Proletariats begann auch die Sozialdemokratie sich vermehrt um die Mitte zu bemühen. Gemeinsam standen schwarz und rot für soziale Marktwirtschaft, gemeinsam aber schließlich auch für den neoliberalen Umbau dieser.
Dadurch ist die See wieder rauer geworden. Wirtschaftskrise, die Folgen der Kriege rund um Europa, Sozialabbau, das Erstarken rechtsextremer Parteien… wie re(a)gieren die Parteien der Mitte? In höchstem Maße unterschiedlich. Die Deutschen werden von ihrer erfahrenen Kapitänin stabil auf Kurs gehalten, hier zählen auch noch Werthaltungen, und nicht nur materielle Werte. Wie lange Frau Merkel dem Wind von rechts stand hält weiß man jedoch nicht. Blickt man in den Osten unseres Kontinents muss man sich größere Sorgen machen. Vermeintlich Konservative bauen vielfach fleißig ab: demokratische Rechte, menschliche Werte, die europäische Integration. Sie packeln geschichtsvergessen und schamlos mit offenen Faschisten. Sie müssen Schiffbruch erleiden.

Thomas Rammerstorfer

15. 1. 2016: „Schall und Rauch“ in Vöcklabruck

OKH Vöcklabruck
Hans Hatschek-Straße 24, 4840 Vöcklabruck

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Verschwörungstheorien haben durch globale Krisen und moderne Medien eine neue Dynamik erfahren. Im Sekundentakt werden dort absurde Theorien und dreiste Lügen über den Globus gejagt:

Die Medien werden zentral gesteuert. 9/11 war ein „Inside Job“. Es gibt keinen Klimawandel. Die Bilderberger, die Freimaurer, die Illuminaten, die Juden und/oder Satan regieren heimlich die Welt. PolitikerInnen sind eigentlich eine Reptilienkaste und Deutschland eine Firma. Die Kondensstreifen von Flugzeugen sind in Wahrheit chemische Attacken um die Weltbevölkerung zu kontrollieren…

Geglaubt wird, was man glauben will, was sich mit bereits vorhandenen Vorurteilen deckt, was das „Wiederlegen“ der Horrorgeschichten noch schwieriger macht. Dazu wird argumentiert, es habe in der Geschichte ja tatsächlich auch Komplotte gegeben, von simplen Versuchen politischer Einflussnahme durch Lobbyisten bis zum Mordkomplott. Das stimmt, allerdings ist der Umkehrschluss „es gab Verschwörungen, also ist alles Verschwörung“ natürlich absurd.

Vortrag mit und von Thomas Rammerstorfer- Journalist und Autor – über Vergangenheit und Gegenwart der Verschwörungstheorien sowie die Mechanismen zu ihrer Entstehung.

Einlass: 19:30 | Beginn: 20:00
Eintritt: freiwillige Spende