Archiv für den Monat: April 2015

Türkische Faschisten demonstrieren gegen die Realität

Einen „Amoklauf gegen die Wirklichkeit“ nannten Brigitte Bailer-Galanda und Wilhelm Lasek einmal die Tätigkeit der „Revisionisten“, also der Leugner und Verniedlicher der Verbrechen des NS-Regimes. In den letzten Tagen fühlte man sich durchaus daran erinnert, nur dass das zu leugnende Thema der Völkermord an den ArmenierInnen war und die Gemeinschaft der Ungläubigen KemalistInnen, AnhängerInnen des politischen Islam und – in erster Linie und am lautesten heulend – „Graue Wölfe“, also AnhängerInnen der faschistischen MHP waren. Neben einer Reihe von Saalveranstaltungen in den vergangenen Monaten kam es nun auch auf der Straße zu Rudelbildungen.

Am 21. April fand es vor dem Parlament in Wien eine erste Kundgebung statt. Spruchtafeln mit Inhalten wie „Ende der Anschwärzung der Türkischen Geschichte“, Flaggen der Türkei und Aserbaidschans und Hände, geformt zum „Wolfsgruß“, wurden gewedelt.

Wesentlich größer fiel die Demo am 24. April aus, die gleichzeitig mit dem Trauermarsch für die Opfer des Genozids statt fand:

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"Wer sind die? Graue Wölfe!!"

„Wer sind die? Graue Wölfe!!“

Mehrere tausend SympathisantInnen konnten mobilisiert werden.

Dornbirn: Kundgebung gegen Gedenkgottesdienst (!)

In Vorarlberg zeigten die „Grauen Wölfe“, dass es noch widerwärtiger geht. In der Dornbirner „Bruder Klaus“ Kirche fand ein Gedenkgottesdienst für die ermordeten ArmenierInnen statt. Für den örtlichen Tarnverein der Faschisten, der „Safak Jugend & Kulturverein“ offenbar eine Provokation, so organisierte man eine Gegenkundgebung. Wie verhetzt, verblödet und verkommen kann man sein, um auf so eine Idee zu kommen? Jedenfalls besteht in Österreich hinsichtlich des Treibens der „Grauen Wölfe“ dringender Handlungsbedarf.

Hier zwei screenshots von der Safak-Seite, der erste zeuigt eine anti-armenische Karikatur, die zweite die angefertigten Schilder für die Kundgebung:

safak

 

safakdemo

Zur Kundgebung in Dornbirn: http://www.vol.at/dornbirn-tuerkischer-verein-demonstriert-gegen-armenier-gedenken/4302484

 

 

 

 

 

 

Rede bei der Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915 am 23. April 2015 in Wels

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie im Namen der Welser Initiative gegen Faschismus zu der Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915 sehr herzlich begrüßen.

Im Frühjahr 1945 wurden die ungarischen Juden und JüdInnen auf Todesmärschen quer durch die damalige „Ostmark“ getrieben, u. a. durch Thalheim und Wels in das KZ Gunskirchen. Tausende starben während oder an den Folgen der Deportation.

Am 24. April 1915 begann mit einer Verhaftungswelle im damaligen Osmanischen Reich der Völkermord an den ArmenierInnen und anderer christlicher Minderheiten. Der Großteil der Opfer starb auf Todesmärschen in die Wüste des heutigen Syriens.

Zwei historische Ereignisse, die bei allen Unterschieden in Zeit und geographischem Raum auch jede Menge Parallelen aufweisen. In beiden Fällen wurde eine Bevölkerungsgruppe immer wieder für Krisen und Niederlagen verantwortlich gemacht, des Verrates und der Verschwörung beschuldigt, bis die rassistischen Vorurteile schließlich in genozidaler Raserei gipfelten. Aus diesem Grund wollen wir der Ereignisse heuer gemeinsam gedenken.

„Wer spricht den heute noch von den Armeniern?“ fragte Adolf Hitler am 22. August 1939. In wenigen Tagen sollten die Nazis Polen überfallen, die Pläne für die industrielle Massenvernichtung des europäischen Judentums nahmen Gestalt an. Hitler war über den Völkermord an den ArmenierInnen informiert, er befragte damals in der Region aktive Beamte zum Thema. Der Genozid war ohne Folgen geblieben, die Täter meist ungestraft davon gekommen, die Opfer nie entschädigt; das Vergessen erlaubte das Wiederholen, zumindest nach den unmoralischen Maßstäben der Nazis. Zum Vergessen leisteten sie ihren aktiven Beitrag: Franz Werfels „40 Tage des Musa Dagh“, dass die Tragödie des armenischen Volkes – wie Werfel es ausdrückte – „dem Totenreich alles Vergessenen entreißen“ wollte, wurde in Nazideutschland verboten und verbrannt.

Warum die Armenier? Warum die Juden?

Diese Fragen drängen sich zwangsläufig auf. Fremdenhass und Vorurteile richten sich gegen viel ethnische und religiöse Gruppen, aber nur in den seltensten Fällen führen sie zum Genozid. Ich möchte versuchen, mich einer Antwort anzunähern.

Wie die Jüdinnen und Juden in vielen europäischen Staaten waren den ArmenierInnen und anderen Angehörigen der christlichen Minderheit viele Berufe verwehrt. Eine Beamten- oder Offizierslaufbahn war nicht erlaubt. Ein, gemessen an der Gesamtbevölkerung, relativ großer Teil war deswegen im Handel und im, bei Muslimen damals verpönten, Bankenwesen aktiv. In Krisenzeiten, und das Osmanische Reich befand sich in den letzten Jahrzehnten seiner Existenz immer in Krisenzeiten, gab die armenische Bevölkerung einen nachgerade optimalen Sündenbock.

Antisemitische und antiarmenische Stereotype ähnelten und ähneln sich auf frappierende Art und Weise: Rassistische Eiferer zeichneten das Bild eines gierigen, verschlagenen Volkes, das mit ausländischen Mächten kooperiert und sich gegen das Heimatland stellt. Ein Volk, das noch dazu eine gewisse Affinität zu demokratischen, liberalen oder gar revolutionären und sozialistischen Ideen hatte – wie viele benachteiligte Minderheiten damals.

„Der Armenier ist wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit, der die Gesundheit des anderen Landes, in dem er sich niedergelassen hat, aufsaugt.“ befand der deutsche General Fritz Bronsart von Schellendorf.

Wie die ArmenierInnen waren auch die JüdInnen nicht von einem Rassismus gegen vermeintlich Dümmere oder Minderwertigere betroffen. Vielmehr wurde ihnen besondere Intelligenz nachgesagt, eine boshafte Intelligenz, die sie stets nur zu ihrer eigenen Bereicherung nutzten.

Schon im 19. Jahrhundert starben zigtausende ArmenierInnen bei Pogromen. Ihre bürokratisch organisierte Vernichtung sollte 1915 beginnen. Kurz davor hatten die Turanisten die Macht im Osmanischen Reich übernommen, eine ultranationalistische, rassistische Bewegung. Ihre ideologischen Wiedergänger sind heute als „Graue Wölfe“ bekannt und aktiv.

In den Wirren des Ersten Weltkrieges, an dem das Osmanische Reich an der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands kämpfte, sahen die Turanisten die Möglichkeit ihre Pläne zu realisieren: Ein von den ethnischen Minderheiten gesäubertes, groß-türkisches Reich. Insbesondere gen Osten strebte man die Vereinigung mit den Turkvölkern des Kaukasus und darüber hinaus an. Mit der Vernichtung der ArmenierInnen wollte man sich diesem geographischen und bevölkerungspolitischen Ziel annähern. Darüber hinaus hatte die Vernichtung simple materielle Gründe: Der geraubte Besitz von rund 2 Millionen Menschen sollte dem türkischen Volk über die Folgen von Krieg und Krise hinweghelfen – eine weitere Parallele zur Shoah, wo das Beutegut der deutschen Bevölkerung half, den Krieg durchzustehen.

Die Anzahl der Getöteten ist bis heute umstritten: Manche Quellen sprechen von Hunderttausenden, andere von bis zu 2 Millionen. „Gerechte“ gab es auch damals; eine ganze Reihe türkisch-muslimischer Landräte und Provinzgouverneure wurde wegen ihrer Weigerung, sich am Völkermord zu beteiligen, abgesetzt oder gar ermordet. Dafür stand das deutsche Militär den Mördern zur Seite und beteiligte sich an der Ausrottung ihrer christlichen Glaubensbrüder; das ebenfalls verbündete Österreich-Ungarn schwieg aus bündnistaktischer Rücksichtnahme.

Kobane, Dair az-Zaur, Al Rakka,… Stationen des armenischen Kreuzweges in die Wüste, ins Nichts, wo die, die die Todesmärsche überlebt hatten, ihr Ende fanden. Hundert Jahre später ist in diesen Killing Fields der so genannte „Islamische Staat“ an der Macht, der wiederum die christlichen und viele andere Minderheiten mit mörderischem Hass verfolgt. Das passiert heute, in diesen Tagen.

Mit diesem Ankommen im Hier und Jetzt möchte ich schließen, er soll uns zeigen, dass es mit dem Gedenken längst nicht getan ist, dass das Töten nicht vorüber ist. In einigen Teilen der Welt können Angehörige der armenischen Minderheit nicht in Frieden und Sicherheit leben; ebenso wenig wie die Juden und Jüdinnen, die nach wie vor Zielscheibe rassistischer und religiöser Fanatiker werden.

Aber wenn jemand fragt: „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“, dann kann man sagen: „Wir!“. Und wir werden so lange von ihnen sprechen, bis auch die Offiziellen der Republik Türkei einen Versöhnungsprozess beginnen und ihre historische Verantwortung eingestehen. Als Bewohner eines Landes, das viele Jahrzehnte seine Mitverantwortung für die Vernichtung der Juden leugnete, weiß ich, das kann lange dauern, aber irgendwann klappt es bestimmt. Danke.

Mehr als hundert Jahre Einsamkeit

aus: LeEza-News 1/2015 (www.leeza.at)

Ein Jahrhundert nach dem Genozid kämpfen die ArmenierInnen noch immer darum, das unfassbare Schicksal des armenischen Volkes dem Totenreich alles Geschehenen zu entreißen.[1] Doch auch aktuelle Bedrohungen lauern in der Region.

Es war nur eine Fußnote in den Berichten über die Verbrechen des „Islamischen Staates“. Am 21. September 2014, dem Unabhängigkeitstag der Republik Armenien, wurde im syrischen Deir az-Zor die Gedächtniskirche an den Völkermord gesprengt. Deir az-Zor, das hat für die ArmenierInnen die Bedeutung von Auschwitz[2] (Peter Balakian) oder Theresienstadt[3] (Rolf Hosfeld). Die Stadt am Euphrat war das Ziel vieler Deportationszüge 1915/16. Wer nicht unterwegs gestorben ist, starb hier: Hunderttausende. Auch die lebenden ArmenierInnen der Region waren 2014 verstärkt Angriffen ausgesetzt, etwa auf das Dorf Kesab im Frühling und das armenische Viertel Aleppos. Gewalt und Vertreibung sind alte Bekannte für die christlichen Gemeinden der Region. Vor 100 Jahren begann mit dem „Aghet“ (armenisch für „Katastrophe“), dem Völkermord an den ArmenierInnen, das bislang grausamste Kapitel rassistisch und religiös motivierten Hasses in der Region.

Neunzehnhundertfünzehn

1908 putschte sich im Osmanischen Reich die konstitutionalistische, heterogene Bewegung der „Jungtürken“ an die Macht. Innerhalb der jungtürkischen Bewegung setzte sich bald das türkisch-nationalistische und rassistische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ durch. Ein Triumvirat aus Enver, Cemal und Talat Pascha leitete nun diktatorisch die Geschicke des Landes. Ihr Traum war die Umwandlung des krisengebeutelten Vielvölkerstaates in einen türkischen Nationalstaat. Angestrebt wurde der Anschluss der von turksprachigen Völkern bewohnten Teile Russlands und die Vertreibung der christlichen Minderheiten der GriechInnen, ArmenierInnen, AssyrierInnen und ChaldäerInnen.

Die etwa 2 Millionen Köpfe zählende armenische Bevölkerung besiedelte vor allem die östlichen Provinzen Anatoliens und bildete kleinere Minderheiten in den Großstädten. Da den ArmenierInnen und anderen ChristInnen eine Offiziers- oder Beamtenlaufbahn verboten war, konzentrierte sich das Bürgertum im Handels- und Bankenwesen. Bereits in den Jahrzehnten vor Aghet dienten die ArmenierInnen immer wieder als Sündenböcke für Krisen und waren Pogromen ausgesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts und 1909 forderten diese zigtausende Menschenleben. Die Dominanz der christlichen Intelligenz sollte beendet werden, eine türkisch-nationale Bourgeoisie entstehen.

Mit dem Eintritt des Osmanischen Reiches auf Seiten Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Ersten Weltkrieg sah das Triumvirat seine Chance, sich seiner christlichen Minderheiten endgültig zu entledigen. Man machte die armenische Bevölkerung für die militärischen Fehlschläge im Kaukasus verantwortlich. Pauschal wurde ihnen vorgeworfen, das Osmanische Reich zugunsten Russlands zu verraten. Bald wurden Deportationspläne ausgearbeitet, die von Armee und Bürokratie unter Führung des „Komitees“ und seiner Geheimorganisation der „Teşkilât-ı Mahsusa“  (dt. „Spezialorganisation“) durchgeführt werden sollten.

Am 24. April 1915 war es soweit. Mehr als 2000 armenische Intellektuelle, Politiker, Geistliche, Ärzte und sonstige Notabeln wurden verhaftet, deportiert und meist ermordet. Im Mai wurde das Deportationsgesetz beschlossen. Armenische Soldaten wurden aus der Armee entfernt und meist durch Arbeit (Straßenbau) vernichtet. Bald waren alle Männer im wehrfähigen Alter eingesperrt, auf Todesmärschen oder auf der Flucht. Und dieses Mal sollte sich die Angelegenheit nicht auf lokale Massaker und Plünderungen beschränken, sondern die ArmenierInnen gänzlich vernichtet werden. Bald wurde die verbliebene armenische Bevölkerung in Marsch gesetzt. Frauen, Kinder, Greise sollten oft viele hundert Kilometer bis in die syrische Wüste getrieben werden. Bald krank, verhungernd und unter aller erdenklicher Gewalt ihrer Bewacher leidend, dezimiert durch Überfälle kurdischer und tscherkessischer Banden, gingen die ArmenierInnen dem ihnen zugedachten Schicksal entgegen. Viele versuchten wenigstens ihre Kinder zu retten, indem sie diese an muslimische Familien gaben. Andere konvertierten zum Islam, was aber nur in wenigen Fällen tatsächlich Sicherheit bedeutete. Der Genozid war mehr rassistisch denn religiös motiviert. Die türkischen, kurdischen und arabischen NachbarInnen standen der Aussiedlung der ChristInnen oft negativ gegenüber, hatte man doch Jahrhunderte friedlich zusammen gelebt. Eine ganze Reihe muslimischer Landräte und Provinzgouverneure wurde wegen ihrer Weigerung, sich am Völkermord zu beteiligen, abgesetzt oder gar ermordet. Denkmäler gibt es für diese Helden in der Türkei nicht; nur für die Mörder.

Bereits im August 1915 tönte Talat: „Die armenische Frage existiert nicht mehr“[4]. Doch bis 1917 ging das Morden weiter, dem die sich anbahnende Niederlage der Mittelmächte ein Ende setzte. Eine kurzlebige armenische Republik wurde von den Truppen Mustapha Kemals zerschlagen, ihre Reste fielen an die Sowjetunion, wo sie bis 1991 eine „sozialistische“ und seither eine „unabhängige“ Republik bilden. Die juristische Aufarbeitung der jungtürkischen Verbrechen im nunmehr von der Entente besetzten Osmanischen Reich endete mit dem Sieg der Nationalbewegung des späteren „Atatürk“. Zu viele seiner Mitstreiter hatten armenisches Blut an den Händen.

Zweitausendundfünfzehn

Kaum ein Land hat Geschichtsfälschung mit ähnlichem Aufwand und Nachdruck betrieben wie die Türkei. Im Rahmen der von den Jungtürken begonnenen und den KemalistInnen fortgesetzten „Türkifizierung“ wurden zigtausende geographische und menschliche Namen geändert. Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln tobte sich die Hegemonie-Wut aus: Pseudowissenschaftliche Institute leugnen den Völkermord. Türkische Diplomaten in aller Welt laufen Sturm gegen die zu runden Jahrestagen erklärten Verurteilungen des Genozids. Faschistische Banditen morden, Staatsanwälte klagen, Medien hetzen. Im Vergleich zum Werken seiner kemalistischen und konservativen VorgängerInnen hat sich die Lage der ArmenierInnen in der Türkei unter Erdogan aber sogar leicht verbessert. Erdogans Aussagen zu den „Ereignissen“ sind zwar ebenso widersprüchlich wie zu den meisten anderen Themen, in der Praxis gab es kleine Fortschritte. Eine Reihe von Kirchen und anderer Immobilien wurde an die christlichen Gemeinden zurückgegeben und renoviert, Anfang Jänner 2015 gab man die Genehmigung eines Kirchenneubaus in Istanbul bekannt – erstmals in der Geschichte der Republik Türkei und wohl nicht ganz zufällig am Vorabend des einhundertsten Jahrestages des Beginns des „Aghet“. Ob die AKP-Regierung sich abseits symbolischer Gesten um eine dauerhafte Verbesserung der Lage der Minderheiten in der Türkei bemühen wird darf nach den Erfahrungen der letzten Jahre zumindest angezweifelt werden.

Thomas Rammerstorfer lebt in Wels/Oberösterreich, ist freier Journalist und Mitarbeiter von LeEZA, zum Thema erschien zuletzt „Fragen nach dem vergessenen Genozid – KünstlerInnen und AktivistInnen rütteln am größten Tabuthema der Türkei: dem Völkermord an den ArmenierInnen“, siehe https://jelinektabu.univie.ac.at/politik/vergangenheit/thomas-rammerstorfer/

[1] Zit. Nach Franz Werfel, Vorwort zu Die vierzig Tage des Musa Dagh

[2] http://www.nytimes.com/2008/12/07/magazine/07lives-t.html?fta=y&_r=0

[3] Hosfeld, Operation Nemesis, S. 191

[4] Talat Pascha, 31. 8. 1916, zit. nach Lepsius, Deutschland und Armenien, Potsdam 1919

„Unsere Stadt, unsere Regeln“: Der aktuelle FP-Werbeslogan wurde bisher fast nur von Hooligans und Neonazis verwendet

„Unsere Stadt, unsere Regeln“ lautet ein aktueller Werbeslogan der FPÖ in Oberösterreich und anderen Ländern, der in Aussendungen und auf Plakaten Verwendung findet und in leicht abgeänderten Varianten auch in den Gemeinden auftaucht:

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(Foto: Thomas Rammerstorfer)

Inhaltlich ist die Parole einfach nichts; weder wird klar, wer „uns“ überhaupt ist, noch an welche „Regeln“ man sich halten solle. Suggeriert wird nur ein aufgeblasenes Selbstbewusstsein gegenüber den „Anderen“, ein Trostpflaster für die Verlierer dieser Welt, und alle die sich dafür halten.

Neu ist der Spruch natürlich nicht. Insbesondere im Hooligan-Milieu erfreut er sich weiter Verbreitung. Diesem ist auch die facebook-Seite „Unsere Stadt Unsere Regeln“ zuzuordnen:

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(Screenshot von Facebook)

Ab dem Herbst 2014 fand der Spruch Eingang in den Wortschatz der rechtsextremen „Hooligans gegen Salafisten“ und von dort in die Pegida-Bewegung. Eine ganze Reihe einschlägiger Kampfsport-, Hooligan- und Neonazi-Versände drucken ihn auf Textilien – wie hier das einschlägige Label „Hardcorps“:

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(Screenshot von www.derversand.de)

In der deutschen Neonazi-Szene wird die Parole in verschiedenen Variationen verwendet. Die neonazistischen „Jungen Nationaldemokraten“ etwa druckten „Unser Kiez, unsere Stadt, unsere Regeln“ 2013 auf Flyer. Der rechtsextreme Versand „Rock Nord“ wirbt mit „Unsere Stadt. Unsere Kultur. Unsere Regeln.“

 

 

 

 

 

23. 4. 2015 in Wels: Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915

Im Frühjahr 1945 wurden ungarischen, jüdische ZwangsarbeiterInnen auf Todesmärschen quer durch die damalige „Ostmark“ getrieben, u. a. durch Thalheim und Wels in das KZ Gunskirchen. Tausende starben während oder an den Folgen der Deportation.

In der Nacht von 23. auf 24. April 1915 begann mit einer Verhaftungswelle im damaligen Osmanischen Reich der Völkermord an den ArmenierInnen und anderer christlicher Minderheiten. Der Großteil der 1 bis 1,5 Millionen Opfer starb auf Todesmärschen in die Wüste des heutigen Syriens.

Zwei historische Ereignisse, die bei allen Unterschieden in Zeit und geographischem Raum auch jede Menge Parallelen aufweisen. In beiden Fällen wurde eine Bevölkerungsgruppe immer wieder für Krisen verantwortlich gemacht, des Verrates und der Verschwörung beschuldigt, bis die rassistischen Vorurteile schließlich zu genozidaler Raserei führten. Aus diesem Grund wollen wir der Ereignisse heuer gemeinsam gedenken.

Begrüßung:

Hermann WIMMER
Vizebürgermeister der Stadt Wels

Redner:

Gerhard HADERER
Zeichner

Thomas RAMMERSTORFER
Welser Initiative gegen Faschismus

Friedhof Wels (Nordteil, beim Jüdischen Mahnmal)

Die Putin-Fans aus Linz

Die neue Rechtspostille „Info-Direkt“ steigt für den russischen Präsidenten und gegen eine „Homo-Lobby“ in den Ring. Man will sich im „Alten Rathaus“ präsentieren

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Von der ersten Seite lässt das neue Medienprojekt keinen Zweifel an seiner Ausrichtung, oder besser: an seiner Mission. Auf der Titelseite prangt ER, wie er sich gerade die Sonnenbrille richtet. „Wir wollen einen wie Putin“ steht in dicken Lettern drunter. So gehts weiter, Schlag auf Schlag, Seite für Seite. Auf der vierten gibts das nächste Putin-Bild in cooler Pose, das Vorwort auf Seite 5 widmet sich dem russischen Präsidenten… dann folgt die 4-seitige Coverstory mit weiteren drei Putin-Bildern und einer ausführlichen Lobhuldigung seines vermeintlich segensreichen Wirkens für die Welt.

Die Seiten 10 bis 13 gehören Alexander Dugin, einem rechtsextremen Berater von Putin. Dugin erklärt auch, wer hinter allen bösen Behauptungen über den Meister steckt. Neben ukrainischen Neonazis und Hooligans – die „Homo-Lobby!“

Dugin:

„ (…) die linken und liberalen Gruppen oder auch die Homosexuellen-Lobby sind ja nicht weniger gefährlich als die gewaltbereiten Hooligans (…)“

Info-Direkt:

„Sie sagen, die liberalen und linken Gruppen, aber auch die Schwulenaktivisten seien nicht weniger gefährlich als gewaltbereite Hooligans?“

Dugin:

„Auch die Homo-Lobby hat außerordentlich extremistische Ansichten darüber, wie unsere Gesellschaft deformiert werden soll. (…) Die Schwulen- und Lesbenlobby ist nicht weniger gefährlich als Neonazi-Gruppen!“

Das Interview führte der deutsche Rechtsextremist Manuel Ochsenreiter.

Seite 13 und 14 widmen sich dann Putins Wirtschaftspolitik (einer einzigen Erfolgsstory natürlich), ehe es wiederum mit Manuel Ochsenreiter in den – O-Ton! – „Vorgarten Wladimir Putins“ geht – die Ostukraine. Jubelrusse Ochsenreiter durfte dort als „Wahlbeobachter“ wirken.

Es folgt eine Doppelseite mit einem Foto und ausgewählten Zitaten von… sie dürfen raten! Jedenfalls gehts auf den nächsten Seiten, also 20 bis 22, über „Putins Feinde in Russland“. Da wäre z. B. der böse Oligarch Newslin, dem im Artikel ausführliche Beziehungen nach Israel nachgesagt werden. Seite 22 bringt ein Interview mit dem russischen Generalkonsul in Salzburg, Sergej Smirnow. Seite 24 und 25 berichtet über „Religion als Seele der Kultur“, garniert mit einem Foto von Putin und dem orthodoxen Patriarchen. Es folgt ein Bericht über das deutsch-russische Verhältnis (Foto: Putin mit Merkel).

Dann eine wahre Putin-Entwöhnung: 3 Seiten zur PEGIDA, eine zu Südtirol, 2 über die bösen Linken, dann einfach mal eine halbnackte Frau, gefolgt von einem einseitigen Buchauszug von Akif Pirincci.

Erst im Kulturteil endlich wieder Putin, diesmal in einem Interview mit dem Wiener Friedenswahnmacher Stephan Bartunek. Der hatte eines schönen Tages „selbst recherchiert und verblüfft festgestellt: Putin hat recht.“ Es folgen Porträts der Salzburger Neofolkgruppe „Jännerwein“ (enttäuschend: ohne eine einzige Putin-Erwähnung!) sowie der Organisatorin des russischen Balls in Wien, Nathalie Holzmüller. Nach 3 Seiten diverser Zitate („Wladimir Putin: In der Ukraine kämpft eine NATO-Legion“), auf Seite 47 endlich wieder mal ein Putin-Bild. Die letzte Seite widmet sich der Vorankündigung der nächsten Ausgabe. Zur Präsentation hat man sich illustre Räumlichkeiten angemietet: In Wien (24. 4.) das Hotel Astoria, in Linz (25. 4.) das Alte Rathaus. Da stellt sich die Frage, wer finanziert eigentlich den Spaß, woher rollt der Rubel? Immerhin geht’s um ein 48-seitiges Hochglanzmagazin, das kostenlos an potentiell Interessierte versandt wurde, in edlen Locations präsentiert wird, offenbar eigene Redaktionsräumlichkeiten angemietet hat… und das ohne auch nur ein einziges Inserat! Auf der homepage findet man die Antwort: Info-Direkt werde „von niemanden finanziert[1].

Viel mehr Transparenz ist auch bezüglich der AutorInnen nicht vorhanden. Die meisten Artikel sind nicht namentlich gezeichnet. Zum „Medieninhaber, Hersteller, Herausgeber und Redaktion“ erklärt sich ein „Verein für Meinungsfreiheit und unabhängige Publizistik“ aus der Linzer Ellbognerstraße (die Anschrift des Magazins ist allerdings in der Dieselstraße). Obmann Karl Winkler (an anderer Stelle auch: Karl Winkler-Ellbogner). Dieser ist nicht ganz unbekannt als OÖ-Vorsitzender der „Österreichischen Landsmannschaft“. Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) bezeichnet diese als „rechtsextreme Organisation mit vordergründig humanitärer Ausrichtung, die vor allem im publizistischen Bereich beträchtliche Aktivitäten setzt und aufgrund ihrer ideologisch-kulturellen Tätigkeit eine wichtige integrative Funktion für das deutschnationale und rechtsextreme Lager erfüllt.“[2]

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Thomas Rammerstorfer

[1] http://www.info-direkt.at/ueber-uns/

[2] http://www.doew.at/erkennen/rechtsextremismus/rechtsextreme-organisationen/schutzverein-oesterreichische-landsmannschaft-oelm

Neuer Vortrag: Schall und Rauch – das Denken der Weltverschwörungstheoretiker

Die Medien werden zentral gesteuert. 9/11 war ein „Inside Job“. Es gibt keinen Klimawandel. Hinter allen spektakulären Terroranschlägen der letzten Jahre stecken CIA und Mossad. Die Bilderberger, die Freimaurer, die Illuminaten, die Juden und/oder Satan regieren heimlich die Welt. Die Kondensstreifen von Flugzeugen sind in Wahrheit chemische Attacken um die Weltbevölkerung zu. Die meisten Naturkatastrophen werden künstlich erzeugt. Es gab nie eine Mondlandung. Nazis haben UFOs gebaut und Außerirdische die Pyramiden. Impfungen nutzen nur der Pharmaindustrie. Die Erde ist in Wirklichkeit hohl. Und auch hinter dem „Islamischen Staat“ steckt Israel.

Man könnte diese Aufzählung mehr oder weniger gängiger Verschwörungstheorien fortsetzen. Vermutlich sogar tagelang. Rechte und Linke, Islamhasser und AnhängerInnen des politischen Islams, ChristInnen jeder Facon, Sekten-, Esoterik- und Satans-Jünger, gutmütige Hippies und hasserfüllte Pöbler, sie sind sich oft in einem einig: Nichts ist so wie es scheint. Alles wird gesteuert. Die Geschichte ist nicht eine Geschichte der politischen, ökonomischen und sozialen Konflikte, sondern schlicht eine der Verschwörung mehr oder weniger unbekannter Mächte; je nach persönlicher Vorliebe mal gegen die „deutsche Rasse“, gegen das Christentum, gegen den Islam oder gar  gegen die Menschheit an sich. Es gibt weder Zu- noch Unfälle. Überall steckt ein geheimer Plan dahinter, und der führt ins Verderben.

Die Vorstellungen einer Weltverschwörung sind alt. Eine erste Blütezeit erlebten sie im ausklingenden 18. Jahrhundert mit seinen folgeschweren historischen Ereignissen. Die Aufklärung, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung und die Französische Revolution erschütterten Monarchie und Klerus. Bald waren von eifrigen Reaktionären die finsteren Mächte enttarnt, die diese frevlerischen Vorgänge starteten und steuerten: neben den – bereits seit ihren sogenannten Gottesmord an Jesus – für jedes Unglück verantwortlich gemachten Judentum kamen nun aufklärerische Zirkel wie die der Freimaurer und der Illuminaten hinzu. In Umbruchs- und Krisenzeiten sind sie seither als Alltime-Superschurken schnell zur Hand.

Verschwörungstheorien haben aber durch die modernen Medien, insbesondere das Web 2.0 eine neue Dynamik erfahren. Im Sekundentakt werden dort absurde Theorien und dreiste Lügen über den Globus gejagt. Geglaubt wird, was man glauben will, was sich mit bereits vorhandenen Vorurteilen deckt, was das „Wiederlegen“ der Horrorgeschichten noch schwieriger macht. Dazu wird argumentiert, es habe in der Geschichte ja tatsächlich auch Komplotte gegeben, von simplen Versuchen politischer Einflussnahme durch Lobbyisten bis zum Mordkomplott. Das stimmt, allerdings ist der Umkehrschluss „es gab Verschwörungen, also ist alles Verschwörung“ natürlich absurd.

Eingedenk dessen, das die Unzulänglichkeiten des kapitalistischen Systems – Krisen, Kriege, Ungerechtigkeit – offensichtlich und wissenschaftlich belegbar sind, ist eine Beschäftigung mit Weltverschwörungstheorien bestenfalls Zeitverschwendung. Schlimmeren Falls leistet man jenen politischen Kräften Vorschub, die die Fehler des Systems bestimmten Personengruppen zuschanzen wollen – mit den aus dem letzten Jahrhundert bekannten verheerenden Folgen.

Thomas Rammerstorfer ist freier Publizist. Ab Mai 2015 bietet er den Vortrag „Schall und Rauch“ zum Thema an. Kontakt: t.rammerstorfer@gmx.at

„…dann seid ihr dran“: Linzer „Graue Wölfe“ hetzen gegen ArmenierInnen

In der Türkei wird am Vorabend des 100. Jahrestages des Beginns des Völkermordes an den ArmenierInnen dieser von Faschisten gefeiert und für anti-armenische Provokationen genutzt. Dort wurden von „Grauen Wölfen“ dutzende Transparente mit der Aufschrift „Wir freuen uns, dass unser Land von den Armeniern gereinigt wurde. Gratulation zum 100. Jahrestag. Wir sind stolz auf unsere Großeltern!“ verbreitet, siehe
http://www.thomasrammerstorfer.at/2015/02/24/graue-woelfe-feiern-genozid-an-den-armenierinnen/

Auch in Österreich verbreiteten die AnhängerInnen der Ultranationalisten revisionistische Propaganda und kaum verhohlene Drohungen. Um die angenommene Niederträchtigkeit der ArmenierInnen zu belegen, wird besonders gerne auf ein Ereignis aus dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg zurückgegriffen, dem so genannten „Massaker von Chodschaeli“. In Chodschaeli (türk. Hocaeli) kamen unter nicht geklärten Umständen zumindest 100, nach anderen Angaben sogar mehrere hundert aserbaidschanische ZivilistInnen zu Tode. Während die – mit der Türkei verbündeten – Aseris von einem Massaker oder gar von einem Völkermord sprachen, wird diese Version vielfach angezweifelt. „Ich bezweifle, dass die Armenier den Aserbaidschanern erlaubt hätten, ihre Toten einzusammeln, wenn die Vorwürfe eines Massakers wahr wären.“, meinte selbst der ehemalige Präsident Aserbaidschans, Ajas Mutalibow. Einen ausführlichen und ausgewogenen Bericht zu den Ereignissen gibt es auf wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Chodschali

Freilich kann an dieser Stelle das Ereignis nicht aufgeklärt werden; auch soll keineswegs bestritten werden, dass es auch von Seiten der armenischen Republik im Berg Karabach-Konflikt zu Kriegsverbrechen kam. Doch den heimischen „Grauen Wölfen“, insbesondere „Avrasya Linz“ scheint es ohnehin weniger um die Wahrheitssuche zu gehen, sondern um Propaganda und Drohungen. So heißt es in der Werbung für eine Veranstaltung zum Thema: „Die Knechtschaft wird enden, dann seid ihr dran. Die sich als Armenier bezeichnen, von denen hört man nichts zur Zeit!“ („Bu esaret kalkacak size gelecek sıra, Ermeni’yiz diyenler ses vermiyor bu ara!“).

In einem posting zum Thema des auch von „Avrasya Linz“ als „Völkermord“ („soykırım“) bezeichneten Ereignisses den ArmenierInnen zu drohen: „dann seid ihr dran“ („size gelecek sıra“), dass lässt wohl wenig Interpretationsspielraum offen.

Verbreitet wurde das Ganze direkt über den Avrasya-Account, aber auch von Obmann Davut Güvenc, siehe:
avrasyaermeni

1915 – 2015: Der Genozid an ArmenierInnen und AssyrerInnen. Gedenken, Leugnen, Aufarbeiten

Die neuen LeEZA-Nachrichten (1/2015, Ausgabe 11) gehen nun in Druck.
Schwerpunkt:

1915 – 2015: Der Genozid an ArmenierInnen und AssyrerInnen
Gedenken, Leugnen, Aufarbeiten

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