Kategorie-Archiv: Türkei, Armenien, Kurdistan

An vielen Grenzen

aus: KUPF-Zeitung Nr. 155

Im Frühling waren Aktivistinnen der oberösterreichischen Fraueninitiative Mirabal im türkisch-syrischen Grenzgebiet unterwegs. Thomas Rammerstorfer hat sie begleitet. Bilder einer Region auf der Schwelle zum Krieg.

Diyarbakır, auf kurdisch Amed, wird gerne als die heimliche Haupstadt Kurdistans bezeichnet. Von Heimlichkeit ist aber nicht mehr viel zu sehen. Die pro-kurdische Partei regiert hier mit satter Mehrheit, die Straßen und Souvenirstände sind geprägt von den kurdischen Farben: rot, gelb, grün. Selbst in Amtsgebäuden hängen Öcalan-Portraits. Die Türkei scheint hier weit weg. Sie ruft sich in Erinnerung durch gepanzerte Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, die an allen großen und vielen kleineren Kreuzungen stehen – Tag und Nacht, mit eingeschaltetem Blaulicht, eine Erinnerung an die erodierende Macht des Zentralstaates: hallo, wir sind auch noch da! Jedes dieser weißen Fahrzeuge ist gesprenkelt durch unzählige dunkle Punkte; dort wurden sie von Steinwürfen getroffen, der Lack ist ab.

Überall in Kurdistan im Frühling 2015. Nach drei Jahren bin ich wieder in dieser Gegend. Einiges hat sich verändert. Trotz des Krieges in Syrien, trotz Elends, Unterdrückung – die Menschen gehen hier jetzt aufrechter. Man hat in Syrien den IS besiegt, freilich noch nicht ganz; aber das von der YPG gehaltene Gebiet hat sich 2015 verdoppelt. Hier beginnt man damit den „demokratischen Konföderalismus“, einen basisdemokratischen, ausgesprochen pro-feministischen Sozialismus umzusetzen. Staat will man keinen. Staaten haben genug Schaden angerichtet.

Flüchtlingslager für YezidInnen, in der Nähe von Amed (Diyarbakır). Die KurdInnen haben ein Mädchenzentrum eingerichtet. Hier wird unterrichtet, gebastelt, Tee getrunken. Die Fraueninitiative Mirabal kauft mit Spendengeldern das Nötigste. Vor 8 Monaten ist die Welt der Mädchen in einem Inferno aus Mord, Vergewaltigung und überstürzter Flucht untergegangen. Jetzt sitzen sie hier, ernst und fleißig bei der Handarbeit, unter einem Poster, das KämpferInnen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten zeigt.

Diyarbakır. Ein Gespräch mit Feleknas Uca. Als Yezidin in Deutschland geboren, war sie Abgeordnete im EU-Parlament für die „Linke“ (seit Juni ist sie Abgeordnete der HDP im türkischen Palament). Als der IS im Sommer 2014 mit dem Völkermord an den irakischen YezidInnen begann, zog sie in die Region und hilft seither vor Ort. Sie ist müde, war die ganze Nacht im Irak unterwegs, aber unermüdlich. Die yezidische Gesellschaft wurde vernichtet. Die Überlebenden sind irgendwo in der Region verstreut, in Flüchtlingslagern, in den Bergen, manche haben sich der YPG oder PKK angeschlossen. Andere, insbesondere Frauen, wurden gefangen, versklavt und verkauft. Uca hilft etwa dabei, befreite Sklavinnen zu ihren Familien zurückzubringen. Oder was davon übrig ist. Was sie erzählen, was Uca erzählt, ich will es nicht wiedergeben. Haben wir 2015? Sind wir Menschen?

Diyarbakır (nein, Amed!) Frühling 2015. Ein Taxifahrer klappt seine Brieftasche auf und zeigt mir ein Bild Abdullah Öcalans. „Das ist mein Vater“, sagt er.

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wenn man diese Schlacht mitverfolgt hat, über Tagen, Wochen, Monate, via Twitter, Streams und You Tube-Videos, dann hat man das Gefühl nun vor einer Filmkulisse zu stehen. Mehr sogar, plötzlich auf irgendeine Art und Weise in eine Filmszenerie gesaugt worden zu sein. Da steht er, der Sendemast, auf den der IS seine Flagge gehisst hat. Jetzt wehen dort der rote, der grüne und der gelbe Streifen Kurdistans über der Stadt. Die ist weitestgehend zerstört. Wir sind sprachlos.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. „Die PKK ist nicht die Partei der Kurdinnen und Kurden, sondern aller Menschen, die hier leben. Egal ob türkisch, kurdisch, armenisch, arabisch. Wir setzen uns für alle Unterdrückten ein. Auch für die Homosexuellen, denn die sind auch ein unterdrücktes Volk.“

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wir stehen seit einer Stunde am Grenzzaun, filmen, fotografieren, gucken durch Ferngläser, die uns Einheimische gereicht haben (sie stehen jeden Tag hier, sagen sie). Fünf türkische Soldaten kommen. Junge, unsichere Burschen, in zu großen Uniformen und mit zu großen Gewehren. Hier dürfe man nicht filmen und fotografieren, sagen sie, und wir machen das jetzt schon eine Stunde, und jetzt sollten wir endlich aufhören. Recht überzeugend klingen sie nicht, aber wir sind ohnehin am Aufbrechen. Ich denke, hoffentlich bekommen die Jungs keinen Ärger mit ihren Vorgesetzten, und heute denke ich mir außerdem noch, hoffentlich werden sie nicht von der PKK erschossen. Oder erschießen sich selbst, aus Versehen oder aus Verzweiflung. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, dass sie wen töten könnten, so unschuldig haben sie ausgesehen.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. Er kommt gerade aus dem Gefängnis, Dort wurden wir sehr gut geschult. Es droht ihm eine weitere Gefängnisstrafe, vielleicht noch acht Jahre, vielleicht elf. Ob er nach Syrien gehen würde, kämpfen? Sicher, wenn die Partei es so beschließt. Und wenn er nicht möchte? Dann würde die Partei das auch akzeptieren. Es würde Kritik geben, aber sie würde es akzeptieren.

Flüchtlingslager für KurdInnen in Suruç, Frühling: Die Kinder sind gut gelaunt und lassen in Sprechchören Abdullah Öcalan, die PKK und die YPG hochleben. Sie freuen sich aufs älter werden, sagen manche, dann können sie endlich in den Krieg ziehen.

Suruç, Frühling. Der Park des Amara-Kulturzentrums ist eine schattige, grüne Oase in dieser Stadt, in der überall alte Autos und Pferdekarren um die Wette stinken und stauben. Wir albern etwas rum, schießen Erinnerungsfotos auf den schönen Holzstühlen. Die Stühle sehe ich im am 20. Juli wieder auf Fotos, sie sind umgekippt, verstreut, dazwischen liegen die Leichen von 33 Jugendlichen.

Factbox
Seit 1984 kämpfen die KurdInnen in der Türkei unter Führung der kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK um mehr kulturelle und soziale Rechte. 2013 erklärte die PKK eine Waffenruhe und ihren Rückzug aus der Türkei in den Nordirak. Nach dem Anschlag des IS in Suruc, an dem die KurdInnen der Türkei Mitschuld geben, und Angriffe der Türkei auf die PKK-Stellungen im Irak wurde die Waffenruhe beendet. Seither sterben wieder nahezu täglich Menschen bei den Auseinandersetzungen.
Die HDP, Halkların Demokratik Partisi, ist eine Partei der pro-kurdischen und anderer progressiver Kräfte in der Türkei. Sie zog im Juni 2015 ins Parlament ein und verhinderte so eine neuerliche absolute Mehrheit der AKP. Noch wurde aber keine Regierung gebildet, wahrscheinlich gibt es im November Neuwahlen. Viele Menschen werfen der AKP vor, die Lage in den kurdischen Gebieten bewusst eskaliert zu haben, um bei Neuwahlen doch noch die absolute Mehrheit zu erlangen.
In Syrien kämpft die Schwesterpartei der PKK, die PYD bzw. deren bewaffnete Arme, die Volks- bzw. die Frauenverteidigungseinheiten (YPG bzw. YPJ) gegen den IS. Dabei kooperieren sie recht erfolgreich mit der US-geführten Koalition und den irakisch-kurdischen Peshmerga.

Thomas Rammerstorfer lebt in Wels, ist u. a. aktiv bei der Welser Initiative gegen Faschismus und der Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (www.leeza.at)

28. 10. 2015: Flüchtlinge in der Türkei – ein Reisebericht (Linz)

Termin
Mittwoch, 28. Oktober 2015, ab 18:30 Uhr

Ort
Interkulturelles Begegnungszentrum Arcobaleno, Friedhofstraße 6, 4020 Linz

Inhalt

Thomas Rammerstorfer und Evrim Kutooglu nahmen im Frühling an einer Solidaritätsreise zu zwei Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze teil. Die Bewohnerinnen und Bewohner stammen aus den von den IS-Milizen verwüsteten yesidischen Siedlungsgebieten im Irak und um Kobane (Syrisch-Kurdistan). In einem mit vielen Bildern unterlegten Vortrag berichten die Beiden von ihren Eindrücken und der aktuellen Lage in der Region.

Dauer der Veranstaltung: 18:30 – 20:00 Uhr
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Linzer SP & Graue Wölfe: Ein neuer Tiefpunkt.

Ich weiß ja gar nicht, was ich noch schreiben soll, zur Linzer SPÖ und ihren rechtsextremen Freunden von den „Grauen Wölfen“. Alles ist geschrieben, alles gesagt, die Karten sind am Tisch und geändert hat sich nichts, gar nichts. Nur dieses eine Foto noch! Das will ich euch nicht vorenthalten, weil es fast symbolisch ist für die Unverfrorenheit, ja für die Frechheit mit der Herr Luger seine Freundschaft pflegt.
Entstanden vor wenigen Tagen bei einem Empfang der SPÖ für ihre Kameraden aus dem Spektrum des politischen Islam und eben von Avrasya, dem Verein der faschistischen Grauen Wölfe. Der Herr neben Luger ist Kamil S. Kamil S. ist ein „Grauer Wolf“. Kamil S. ist vor nicht einmal einem Jahr recht bekannt geworden, er hat, während die Schlacht zwischen den KurdInnen und dem IS um Kobane tobte, unmissverständlich Stellung bezogen: „Ich hoffe, dass jeder YPG-PKK-Peschmerga Terrorist in Ain al Arab qualvoll verreckt.“ (Ain al Arab ist der arabische Name von Kobane).
Dafür wurde er berühmt: Standard, Kurier, profil, ungezählte antifaschistische und demokratische Organisationen und selbst die FPÖ haben ihn zitiert. Googeln sie mal „qualvoll verreckt“.
Und Herr Luger hat in diesen Tagen, während das Faschistenpack mordend und brandschatzend durch die Türkei zieht, nichts Besseres zu tun als diese Leute einzuladen und mit ihnen zu posieren.
Ich weiß ja gar nicht, was ich noch schreiben soll, zur Linzer SPÖ und ihren rechtsextremen Freunden von den „Grauen Wölfen“.
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21. 6. 2015 „Flüchtlinge in der Türkei – ein Reisebericht“ in Wels

Thomas Rammerstorfer aus Wels nahm im Frühling an einer Solidaritätsreise zu zwei Flüchtlingslagern an die türkisch-syrische Grenze teil. Die BewohnerInnen stammen aus den von den IS-Milizen verwüsteten yesidischen Siedlungsgebieten im Irak und Kobane in Syrisch-Kurdistan. In einem mit vielen Bildern unterlegten Vortrag berichtet Thomas Rammerstorfer von seinen Eindrücken und der aktuellen Lage in der Region.
Vor dem Reisebericht gibt es ab 10 Uhr einen Brunch!

Eine gemeinsame Veranstaltung vom Alevitischen Kulturverein Wels, der Alevitischen Jugend Österreich und der Welser Initiative gegen Faschismus

21. Juni 2015, 12 Uhr
Alevitischer Kulturverein
Hans-Sachs- Str. 93 in Wels
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Türkische Faschisten demonstrieren gegen die Realität

Einen „Amoklauf gegen die Wirklichkeit“ nannten Brigitte Bailer-Galanda und Wilhelm Lasek einmal die Tätigkeit der „Revisionisten“, also der Leugner und Verniedlicher der Verbrechen des NS-Regimes. In den letzten Tagen fühlte man sich durchaus daran erinnert, nur dass das zu leugnende Thema der Völkermord an den ArmenierInnen war und die Gemeinschaft der Ungläubigen KemalistInnen, AnhängerInnen des politischen Islam und – in erster Linie und am lautesten heulend – „Graue Wölfe“, also AnhängerInnen der faschistischen MHP waren. Neben einer Reihe von Saalveranstaltungen in den vergangenen Monaten kam es nun auch auf der Straße zu Rudelbildungen.

Am 21. April fand es vor dem Parlament in Wien eine erste Kundgebung statt. Spruchtafeln mit Inhalten wie „Ende der Anschwärzung der Türkischen Geschichte“, Flaggen der Türkei und Aserbaidschans und Hände, geformt zum „Wolfsgruß“, wurden gewedelt.

Wesentlich größer fiel die Demo am 24. April aus, die gleichzeitig mit dem Trauermarsch für die Opfer des Genozids statt fand:

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"Wer sind die? Graue Wölfe!!"

„Wer sind die? Graue Wölfe!!“

Mehrere tausend SympathisantInnen konnten mobilisiert werden.

Dornbirn: Kundgebung gegen Gedenkgottesdienst (!)

In Vorarlberg zeigten die „Grauen Wölfe“, dass es noch widerwärtiger geht. In der Dornbirner „Bruder Klaus“ Kirche fand ein Gedenkgottesdienst für die ermordeten ArmenierInnen statt. Für den örtlichen Tarnverein der Faschisten, der „Safak Jugend & Kulturverein“ offenbar eine Provokation, so organisierte man eine Gegenkundgebung. Wie verhetzt, verblödet und verkommen kann man sein, um auf so eine Idee zu kommen? Jedenfalls besteht in Österreich hinsichtlich des Treibens der „Grauen Wölfe“ dringender Handlungsbedarf.

Hier zwei screenshots von der Safak-Seite, der erste zeuigt eine anti-armenische Karikatur, die zweite die angefertigten Schilder für die Kundgebung:

safak

 

safakdemo

Zur Kundgebung in Dornbirn: http://www.vol.at/dornbirn-tuerkischer-verein-demonstriert-gegen-armenier-gedenken/4302484

 

 

 

 

 

 

Rede bei der Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915 am 23. April 2015 in Wels

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Sie im Namen der Welser Initiative gegen Faschismus zu der Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915 sehr herzlich begrüßen.

Im Frühjahr 1945 wurden die ungarischen Juden und JüdInnen auf Todesmärschen quer durch die damalige „Ostmark“ getrieben, u. a. durch Thalheim und Wels in das KZ Gunskirchen. Tausende starben während oder an den Folgen der Deportation.

Am 24. April 1915 begann mit einer Verhaftungswelle im damaligen Osmanischen Reich der Völkermord an den ArmenierInnen und anderer christlicher Minderheiten. Der Großteil der Opfer starb auf Todesmärschen in die Wüste des heutigen Syriens.

Zwei historische Ereignisse, die bei allen Unterschieden in Zeit und geographischem Raum auch jede Menge Parallelen aufweisen. In beiden Fällen wurde eine Bevölkerungsgruppe immer wieder für Krisen und Niederlagen verantwortlich gemacht, des Verrates und der Verschwörung beschuldigt, bis die rassistischen Vorurteile schließlich in genozidaler Raserei gipfelten. Aus diesem Grund wollen wir der Ereignisse heuer gemeinsam gedenken.

„Wer spricht den heute noch von den Armeniern?“ fragte Adolf Hitler am 22. August 1939. In wenigen Tagen sollten die Nazis Polen überfallen, die Pläne für die industrielle Massenvernichtung des europäischen Judentums nahmen Gestalt an. Hitler war über den Völkermord an den ArmenierInnen informiert, er befragte damals in der Region aktive Beamte zum Thema. Der Genozid war ohne Folgen geblieben, die Täter meist ungestraft davon gekommen, die Opfer nie entschädigt; das Vergessen erlaubte das Wiederholen, zumindest nach den unmoralischen Maßstäben der Nazis. Zum Vergessen leisteten sie ihren aktiven Beitrag: Franz Werfels „40 Tage des Musa Dagh“, dass die Tragödie des armenischen Volkes – wie Werfel es ausdrückte – „dem Totenreich alles Vergessenen entreißen“ wollte, wurde in Nazideutschland verboten und verbrannt.

Warum die Armenier? Warum die Juden?

Diese Fragen drängen sich zwangsläufig auf. Fremdenhass und Vorurteile richten sich gegen viel ethnische und religiöse Gruppen, aber nur in den seltensten Fällen führen sie zum Genozid. Ich möchte versuchen, mich einer Antwort anzunähern.

Wie die Jüdinnen und Juden in vielen europäischen Staaten waren den ArmenierInnen und anderen Angehörigen der christlichen Minderheit viele Berufe verwehrt. Eine Beamten- oder Offizierslaufbahn war nicht erlaubt. Ein, gemessen an der Gesamtbevölkerung, relativ großer Teil war deswegen im Handel und im, bei Muslimen damals verpönten, Bankenwesen aktiv. In Krisenzeiten, und das Osmanische Reich befand sich in den letzten Jahrzehnten seiner Existenz immer in Krisenzeiten, gab die armenische Bevölkerung einen nachgerade optimalen Sündenbock.

Antisemitische und antiarmenische Stereotype ähnelten und ähneln sich auf frappierende Art und Weise: Rassistische Eiferer zeichneten das Bild eines gierigen, verschlagenen Volkes, das mit ausländischen Mächten kooperiert und sich gegen das Heimatland stellt. Ein Volk, das noch dazu eine gewisse Affinität zu demokratischen, liberalen oder gar revolutionären und sozialistischen Ideen hatte – wie viele benachteiligte Minderheiten damals.

„Der Armenier ist wie der Jude, außerhalb seiner Heimat ein Parasit, der die Gesundheit des anderen Landes, in dem er sich niedergelassen hat, aufsaugt.“ befand der deutsche General Fritz Bronsart von Schellendorf.

Wie die ArmenierInnen waren auch die JüdInnen nicht von einem Rassismus gegen vermeintlich Dümmere oder Minderwertigere betroffen. Vielmehr wurde ihnen besondere Intelligenz nachgesagt, eine boshafte Intelligenz, die sie stets nur zu ihrer eigenen Bereicherung nutzten.

Schon im 19. Jahrhundert starben zigtausende ArmenierInnen bei Pogromen. Ihre bürokratisch organisierte Vernichtung sollte 1915 beginnen. Kurz davor hatten die Turanisten die Macht im Osmanischen Reich übernommen, eine ultranationalistische, rassistische Bewegung. Ihre ideologischen Wiedergänger sind heute als „Graue Wölfe“ bekannt und aktiv.

In den Wirren des Ersten Weltkrieges, an dem das Osmanische Reich an der Seite Österreich-Ungarns und Deutschlands kämpfte, sahen die Turanisten die Möglichkeit ihre Pläne zu realisieren: Ein von den ethnischen Minderheiten gesäubertes, groß-türkisches Reich. Insbesondere gen Osten strebte man die Vereinigung mit den Turkvölkern des Kaukasus und darüber hinaus an. Mit der Vernichtung der ArmenierInnen wollte man sich diesem geographischen und bevölkerungspolitischen Ziel annähern. Darüber hinaus hatte die Vernichtung simple materielle Gründe: Der geraubte Besitz von rund 2 Millionen Menschen sollte dem türkischen Volk über die Folgen von Krieg und Krise hinweghelfen – eine weitere Parallele zur Shoah, wo das Beutegut der deutschen Bevölkerung half, den Krieg durchzustehen.

Die Anzahl der Getöteten ist bis heute umstritten: Manche Quellen sprechen von Hunderttausenden, andere von bis zu 2 Millionen. „Gerechte“ gab es auch damals; eine ganze Reihe türkisch-muslimischer Landräte und Provinzgouverneure wurde wegen ihrer Weigerung, sich am Völkermord zu beteiligen, abgesetzt oder gar ermordet. Dafür stand das deutsche Militär den Mördern zur Seite und beteiligte sich an der Ausrottung ihrer christlichen Glaubensbrüder; das ebenfalls verbündete Österreich-Ungarn schwieg aus bündnistaktischer Rücksichtnahme.

Kobane, Dair az-Zaur, Al Rakka,… Stationen des armenischen Kreuzweges in die Wüste, ins Nichts, wo die, die die Todesmärsche überlebt hatten, ihr Ende fanden. Hundert Jahre später ist in diesen Killing Fields der so genannte „Islamische Staat“ an der Macht, der wiederum die christlichen und viele andere Minderheiten mit mörderischem Hass verfolgt. Das passiert heute, in diesen Tagen.

Mit diesem Ankommen im Hier und Jetzt möchte ich schließen, er soll uns zeigen, dass es mit dem Gedenken längst nicht getan ist, dass das Töten nicht vorüber ist. In einigen Teilen der Welt können Angehörige der armenischen Minderheit nicht in Frieden und Sicherheit leben; ebenso wenig wie die Juden und Jüdinnen, die nach wie vor Zielscheibe rassistischer und religiöser Fanatiker werden.

Aber wenn jemand fragt: „Wer spricht heute noch von den Armeniern?“, dann kann man sagen: „Wir!“. Und wir werden so lange von ihnen sprechen, bis auch die Offiziellen der Republik Türkei einen Versöhnungsprozess beginnen und ihre historische Verantwortung eingestehen. Als Bewohner eines Landes, das viele Jahrzehnte seine Mitverantwortung für die Vernichtung der Juden leugnete, weiß ich, das kann lange dauern, aber irgendwann klappt es bestimmt. Danke.

Mehr als hundert Jahre Einsamkeit

aus: LeEza-News 1/2015 (www.leeza.at)

Ein Jahrhundert nach dem Genozid kämpfen die ArmenierInnen noch immer darum, das unfassbare Schicksal des armenischen Volkes dem Totenreich alles Geschehenen zu entreißen.[1] Doch auch aktuelle Bedrohungen lauern in der Region.

Es war nur eine Fußnote in den Berichten über die Verbrechen des „Islamischen Staates“. Am 21. September 2014, dem Unabhängigkeitstag der Republik Armenien, wurde im syrischen Deir az-Zor die Gedächtniskirche an den Völkermord gesprengt. Deir az-Zor, das hat für die ArmenierInnen die Bedeutung von Auschwitz[2] (Peter Balakian) oder Theresienstadt[3] (Rolf Hosfeld). Die Stadt am Euphrat war das Ziel vieler Deportationszüge 1915/16. Wer nicht unterwegs gestorben ist, starb hier: Hunderttausende. Auch die lebenden ArmenierInnen der Region waren 2014 verstärkt Angriffen ausgesetzt, etwa auf das Dorf Kesab im Frühling und das armenische Viertel Aleppos. Gewalt und Vertreibung sind alte Bekannte für die christlichen Gemeinden der Region. Vor 100 Jahren begann mit dem „Aghet“ (armenisch für „Katastrophe“), dem Völkermord an den ArmenierInnen, das bislang grausamste Kapitel rassistisch und religiös motivierten Hasses in der Region.

Neunzehnhundertfünzehn

1908 putschte sich im Osmanischen Reich die konstitutionalistische, heterogene Bewegung der „Jungtürken“ an die Macht. Innerhalb der jungtürkischen Bewegung setzte sich bald das türkisch-nationalistische und rassistische „Komitee für Einheit und Fortschritt“ durch. Ein Triumvirat aus Enver, Cemal und Talat Pascha leitete nun diktatorisch die Geschicke des Landes. Ihr Traum war die Umwandlung des krisengebeutelten Vielvölkerstaates in einen türkischen Nationalstaat. Angestrebt wurde der Anschluss der von turksprachigen Völkern bewohnten Teile Russlands und die Vertreibung der christlichen Minderheiten der GriechInnen, ArmenierInnen, AssyrierInnen und ChaldäerInnen.

Die etwa 2 Millionen Köpfe zählende armenische Bevölkerung besiedelte vor allem die östlichen Provinzen Anatoliens und bildete kleinere Minderheiten in den Großstädten. Da den ArmenierInnen und anderen ChristInnen eine Offiziers- oder Beamtenlaufbahn verboten war, konzentrierte sich das Bürgertum im Handels- und Bankenwesen. Bereits in den Jahrzehnten vor Aghet dienten die ArmenierInnen immer wieder als Sündenböcke für Krisen und waren Pogromen ausgesetzt. Ende des 19. Jahrhunderts und 1909 forderten diese zigtausende Menschenleben. Die Dominanz der christlichen Intelligenz sollte beendet werden, eine türkisch-nationale Bourgeoisie entstehen.

Mit dem Eintritt des Osmanischen Reiches auf Seiten Deutschlands und Österreich-Ungarns in den Ersten Weltkrieg sah das Triumvirat seine Chance, sich seiner christlichen Minderheiten endgültig zu entledigen. Man machte die armenische Bevölkerung für die militärischen Fehlschläge im Kaukasus verantwortlich. Pauschal wurde ihnen vorgeworfen, das Osmanische Reich zugunsten Russlands zu verraten. Bald wurden Deportationspläne ausgearbeitet, die von Armee und Bürokratie unter Führung des „Komitees“ und seiner Geheimorganisation der „Teşkilât-ı Mahsusa“  (dt. „Spezialorganisation“) durchgeführt werden sollten.

Am 24. April 1915 war es soweit. Mehr als 2000 armenische Intellektuelle, Politiker, Geistliche, Ärzte und sonstige Notabeln wurden verhaftet, deportiert und meist ermordet. Im Mai wurde das Deportationsgesetz beschlossen. Armenische Soldaten wurden aus der Armee entfernt und meist durch Arbeit (Straßenbau) vernichtet. Bald waren alle Männer im wehrfähigen Alter eingesperrt, auf Todesmärschen oder auf der Flucht. Und dieses Mal sollte sich die Angelegenheit nicht auf lokale Massaker und Plünderungen beschränken, sondern die ArmenierInnen gänzlich vernichtet werden. Bald wurde die verbliebene armenische Bevölkerung in Marsch gesetzt. Frauen, Kinder, Greise sollten oft viele hundert Kilometer bis in die syrische Wüste getrieben werden. Bald krank, verhungernd und unter aller erdenklicher Gewalt ihrer Bewacher leidend, dezimiert durch Überfälle kurdischer und tscherkessischer Banden, gingen die ArmenierInnen dem ihnen zugedachten Schicksal entgegen. Viele versuchten wenigstens ihre Kinder zu retten, indem sie diese an muslimische Familien gaben. Andere konvertierten zum Islam, was aber nur in wenigen Fällen tatsächlich Sicherheit bedeutete. Der Genozid war mehr rassistisch denn religiös motiviert. Die türkischen, kurdischen und arabischen NachbarInnen standen der Aussiedlung der ChristInnen oft negativ gegenüber, hatte man doch Jahrhunderte friedlich zusammen gelebt. Eine ganze Reihe muslimischer Landräte und Provinzgouverneure wurde wegen ihrer Weigerung, sich am Völkermord zu beteiligen, abgesetzt oder gar ermordet. Denkmäler gibt es für diese Helden in der Türkei nicht; nur für die Mörder.

Bereits im August 1915 tönte Talat: „Die armenische Frage existiert nicht mehr“[4]. Doch bis 1917 ging das Morden weiter, dem die sich anbahnende Niederlage der Mittelmächte ein Ende setzte. Eine kurzlebige armenische Republik wurde von den Truppen Mustapha Kemals zerschlagen, ihre Reste fielen an die Sowjetunion, wo sie bis 1991 eine „sozialistische“ und seither eine „unabhängige“ Republik bilden. Die juristische Aufarbeitung der jungtürkischen Verbrechen im nunmehr von der Entente besetzten Osmanischen Reich endete mit dem Sieg der Nationalbewegung des späteren „Atatürk“. Zu viele seiner Mitstreiter hatten armenisches Blut an den Händen.

Zweitausendundfünfzehn

Kaum ein Land hat Geschichtsfälschung mit ähnlichem Aufwand und Nachdruck betrieben wie die Türkei. Im Rahmen der von den Jungtürken begonnenen und den KemalistInnen fortgesetzten „Türkifizierung“ wurden zigtausende geographische und menschliche Namen geändert. Auf allen Ebenen, mit allen Mitteln tobte sich die Hegemonie-Wut aus: Pseudowissenschaftliche Institute leugnen den Völkermord. Türkische Diplomaten in aller Welt laufen Sturm gegen die zu runden Jahrestagen erklärten Verurteilungen des Genozids. Faschistische Banditen morden, Staatsanwälte klagen, Medien hetzen. Im Vergleich zum Werken seiner kemalistischen und konservativen VorgängerInnen hat sich die Lage der ArmenierInnen in der Türkei unter Erdogan aber sogar leicht verbessert. Erdogans Aussagen zu den „Ereignissen“ sind zwar ebenso widersprüchlich wie zu den meisten anderen Themen, in der Praxis gab es kleine Fortschritte. Eine Reihe von Kirchen und anderer Immobilien wurde an die christlichen Gemeinden zurückgegeben und renoviert, Anfang Jänner 2015 gab man die Genehmigung eines Kirchenneubaus in Istanbul bekannt – erstmals in der Geschichte der Republik Türkei und wohl nicht ganz zufällig am Vorabend des einhundertsten Jahrestages des Beginns des „Aghet“. Ob die AKP-Regierung sich abseits symbolischer Gesten um eine dauerhafte Verbesserung der Lage der Minderheiten in der Türkei bemühen wird darf nach den Erfahrungen der letzten Jahre zumindest angezweifelt werden.

Thomas Rammerstorfer lebt in Wels/Oberösterreich, ist freier Journalist und Mitarbeiter von LeEZA, zum Thema erschien zuletzt „Fragen nach dem vergessenen Genozid – KünstlerInnen und AktivistInnen rütteln am größten Tabuthema der Türkei: dem Völkermord an den ArmenierInnen“, siehe https://jelinektabu.univie.ac.at/politik/vergangenheit/thomas-rammerstorfer/

[1] Zit. Nach Franz Werfel, Vorwort zu Die vierzig Tage des Musa Dagh

[2] http://www.nytimes.com/2008/12/07/magazine/07lives-t.html?fta=y&_r=0

[3] Hosfeld, Operation Nemesis, S. 191

[4] Talat Pascha, 31. 8. 1916, zit. nach Lepsius, Deutschland und Armenien, Potsdam 1919

23. 4. 2015 in Wels: Gedenkfeier für die Opfer der Todesmärsche ungarischer Juden 1945 und des Genozids an den ArmenierInnen 1915

Im Frühjahr 1945 wurden ungarischen, jüdische ZwangsarbeiterInnen auf Todesmärschen quer durch die damalige „Ostmark“ getrieben, u. a. durch Thalheim und Wels in das KZ Gunskirchen. Tausende starben während oder an den Folgen der Deportation.

In der Nacht von 23. auf 24. April 1915 begann mit einer Verhaftungswelle im damaligen Osmanischen Reich der Völkermord an den ArmenierInnen und anderer christlicher Minderheiten. Der Großteil der 1 bis 1,5 Millionen Opfer starb auf Todesmärschen in die Wüste des heutigen Syriens.

Zwei historische Ereignisse, die bei allen Unterschieden in Zeit und geographischem Raum auch jede Menge Parallelen aufweisen. In beiden Fällen wurde eine Bevölkerungsgruppe immer wieder für Krisen verantwortlich gemacht, des Verrates und der Verschwörung beschuldigt, bis die rassistischen Vorurteile schließlich zu genozidaler Raserei führten. Aus diesem Grund wollen wir der Ereignisse heuer gemeinsam gedenken.

Begrüßung:

Hermann WIMMER
Vizebürgermeister der Stadt Wels

Redner:

Gerhard HADERER
Zeichner

Thomas RAMMERSTORFER
Welser Initiative gegen Faschismus

Friedhof Wels (Nordteil, beim Jüdischen Mahnmal)

„…dann seid ihr dran“: Linzer „Graue Wölfe“ hetzen gegen ArmenierInnen

In der Türkei wird am Vorabend des 100. Jahrestages des Beginns des Völkermordes an den ArmenierInnen dieser von Faschisten gefeiert und für anti-armenische Provokationen genutzt. Dort wurden von „Grauen Wölfen“ dutzende Transparente mit der Aufschrift „Wir freuen uns, dass unser Land von den Armeniern gereinigt wurde. Gratulation zum 100. Jahrestag. Wir sind stolz auf unsere Großeltern!“ verbreitet, siehe
http://www.thomasrammerstorfer.at/2015/02/24/graue-woelfe-feiern-genozid-an-den-armenierinnen/

Auch in Österreich verbreiteten die AnhängerInnen der Ultranationalisten revisionistische Propaganda und kaum verhohlene Drohungen. Um die angenommene Niederträchtigkeit der ArmenierInnen zu belegen, wird besonders gerne auf ein Ereignis aus dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg zurückgegriffen, dem so genannten „Massaker von Chodschaeli“. In Chodschaeli (türk. Hocaeli) kamen unter nicht geklärten Umständen zumindest 100, nach anderen Angaben sogar mehrere hundert aserbaidschanische ZivilistInnen zu Tode. Während die – mit der Türkei verbündeten – Aseris von einem Massaker oder gar von einem Völkermord sprachen, wird diese Version vielfach angezweifelt. „Ich bezweifle, dass die Armenier den Aserbaidschanern erlaubt hätten, ihre Toten einzusammeln, wenn die Vorwürfe eines Massakers wahr wären.“, meinte selbst der ehemalige Präsident Aserbaidschans, Ajas Mutalibow. Einen ausführlichen und ausgewogenen Bericht zu den Ereignissen gibt es auf wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Massaker_von_Chodschali

Freilich kann an dieser Stelle das Ereignis nicht aufgeklärt werden; auch soll keineswegs bestritten werden, dass es auch von Seiten der armenischen Republik im Berg Karabach-Konflikt zu Kriegsverbrechen kam. Doch den heimischen „Grauen Wölfen“, insbesondere „Avrasya Linz“ scheint es ohnehin weniger um die Wahrheitssuche zu gehen, sondern um Propaganda und Drohungen. So heißt es in der Werbung für eine Veranstaltung zum Thema: „Die Knechtschaft wird enden, dann seid ihr dran. Die sich als Armenier bezeichnen, von denen hört man nichts zur Zeit!“ („Bu esaret kalkacak size gelecek sıra, Ermeni’yiz diyenler ses vermiyor bu ara!“).

In einem posting zum Thema des auch von „Avrasya Linz“ als „Völkermord“ („soykırım“) bezeichneten Ereignisses den ArmenierInnen zu drohen: „dann seid ihr dran“ („size gelecek sıra“), dass lässt wohl wenig Interpretationsspielraum offen.

Verbreitet wurde das Ganze direkt über den Avrasya-Account, aber auch von Obmann Davut Güvenc, siehe:
avrasyaermeni