Kategorie-Archiv: Oberösterreich

Nicht nur ein Skin(n)viertel

(Artikel ist von 2009)

Nazi-Läden, Fascho-Skinhead-Banden und ab und zu mal ein Toter: Das Innviertel ist eine Hochburg militanter Rechtsextremer Im Westen nichts Neues: »Der Hauptaktionsraum von rechtsextremen Skinheads in Oberösterreich war unverändert das Innviertel.« vermerkt der Verfassungsschutzbericht 2008 beinahe schon resignierend. Die in Deutschland verbotene Nazibande »Blood and Honour« ist hier ebenso heimisch wie zwei weitere größere Skinhead-Gruppierungen oder die sich etwas biederer gebende »Nationale Volkspartei«.

Die letzte – nicht untersagte – Neonazidemonstration fand hier statt (durch den »Bund freier Jugend/BfJ«, Ried 2006) und die einzigen drei Nazi-Ramschläden Österreichs befanden bzw. befinden sich ebenfalls allesamt dort: »Walhalla« in Ried (geschlossen), der »Militaria«-Laden in Obernberg (detto dicht), wo selbst illegale Waffen frei verkäuflich waren sowie seit 15. Dezember ’08 der »Thor Steinar«- Laden in Braunau. Inhaber des »Thorshops« ist ein gewisser Thoralf Meinl, Geschäftsmann aus der ehemaligen DDR. Er ist im »Stormfront«-Forum aktiv, dem ältesten Neonazi-Forum, das in den USA von Kukluxklan-Aktivisten betrieben wird: Dort grüsst er auch gern mal mit »SH!«, was vermutlich für »Schi Heil« steht.

»Hochwertige Kleidung« aus Braunau

In diesem werde aber eh »lediglich hochwertige Kleidung verkauft«, so ein nicht namentlich genannter Beamter der Polizeiinspektion Braunau2, der mit diesem Zitat ein Grundproblem der Region offenbart: eine bestenfalls unwissende, schlimmstenfalls mit der rechten Szene sympathisierende Polizei. Nahezu beispielgebend hierfür ist der Rieder Bezirkspolizeikommandant August Weidenholzer, der in den letzten Jahren nahezu jeder Provokation der rechten Szene tatenlos zusah, bzw. zusehen ließ.

So etwa im Juni 2006, wo eine Horde Neonazis des BfJ in Ried feierte. Zwar war die Polizei im Vorhinein informiert, und die Bezirkshauptmannschaft wies Weidenholzer an, 25 Beamte in Bereitschaft zu halten – allein, dieser ließ nicht einschreiten, selbst als der grölende Nazi-Mob von ca. 30 – 35 Personen gegen Mitternacht zum Haus des Bürgermeisters zog, dort klingelte und Lieder zum Schlechtesten gab.

»Es wurden weder rechte politische Parolen gerufen, noch wurden Lieder gesungen.«3, behauptete hingegen Weidenholzer und sah ebensowenig Grund einzuschreiten wie im Dezember desselben ‚ Jahres bei einem Neonazi-Konzert in Antiesenhofen, Bezirk Ried. Parolen wie »Blut muss fließen knüppeldick, wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik«, »In Auschwitz weiß ein jedes Kind, dass Juden nur zum Heizen sind« sowie Lobrufe auf Adolf Hitler, die bei dieser Veranstaltung wiedergegeben wurden, waren für die anwesenden Beamten offenbar nicht schlimm genug; zudem war man damit beschäftigt, mit den überwiegend deutschen Neonazis für Erinnerungsfotos zu posieren, wie ein der ORF-Sendung »Report« zugespieltes Videoband beweist.4

Durchaus einsatzfreudig erweist sich die Rieder Polizei hingegen, wenn es gegen Linke geht. Als ein Grüppchen Rechtsextremer des BfJ im Mai 2006 trotz Demonstrationsverbotes aufmarschierte, schritten die Beamten auf Geheiß des August Weidenholzer beherzt ein – und nahmen zwei gegen die illegale Nazi-Demo protestierende Antifas fest.

Blau-braune Eintracht

Es ist aber jetzt nicht so, dass Herrn Weidenholzer politisches Engagement grundsätzlich zuwider wäre, vielmehr ist er selbst auch tätig, als Ersatz-Gemeinderat ist bei der Schärdinger FPÖ. Sein dortiger Chef ist Lutz Weinzinger, Schärdinger Bezirksparteiobmann und Landesvorsitzender der Freiheitlichen.

Berührungsängste zum rechten Rand hat dieser ebenso wenig. Vielmehr ist Weinzinger, der angibt, durch seine »burschenschaftliche Erziehung« zur Politik gekommen zu sein, als Autor in der rechtsextremen »Aula« wohl sogar ein Teil davon. Auch mit der Anwesenheit prominenter Rechtsradikaler bei FP-Veranstaltungen hat Weinzinger kein Problem. So nahm im August 2006 u. a. der wegen NS-Wiederbetätigung verurteilte Gottfried Küssel an einer Gedenkveranstaltung teil. Organisator der Feier: Lutz Weinzinger.5 Inwieweit die Gedankenwelt eines Weinzingers oder der FPÖ ihren Niederschlag in der Amtsauffassung eines August Weidenholzer finden könnten, überlassen wir den geneigten Leserinnen zu beurteilen.

Ein Hoch auf unsre liebe Polizei

Die Neonazis selbst äußern sich in diversen Internet-Foren jedenfalls voll des Lobes über die Innviertler Ordnungshüterinnen, so z.B. auch bereits im Juli 2003 anlässlich eines illegalen Neonazi-Konzerts in Geinberg. Da wusste die Polizei zwar davon, glänzte aber wie üblich mit vornehmer Zurückhaltung, ein Teilnehmer freute sich über die problemlose Anreise: »Es war nur eine Polizeikontrolle, und die haben auch nur nach Waffen gesucht CDs mit evtl. nicht kosheren Texten und Covers haben sie gar nicht interessiert. Ich muss auch sagen das die Polizeibeamtin die mein Auto durchwühlt hat sehr sehr nett war, und das was sie ausgeräumt hat auch brav wieder eingeräumt hat.«6

(Rechtschreibung im Original – ob ihm die liebe Beamtin zum Abschluss noch die Windschutzscheibe geputzt hat, ist nicht bekannt). Selbst der BfJ gerät bei den Uniformierten aus Ried ins Schwärmen, so anlässlich einer rechtsextremen Demonstration dort im Jahr 2006: »Zwischendurch muss angemerkt werden, dass die Polizisten immer wieder durchblicken ließen, dass auch sie für den nationalen Protestmarsch Verständnis hatten und die hochdisziplinierten jungen Demonstranten eindrucksvoll fanden.«, heißt es da, und auch bei der Abschlusskundgebung wurde das »erfreuliche Verhalten der Polizei« erwähnt.7,

Traditionen

Die Strukturen der extremen Rechten haben im Innviertel eine lange Tradition. Schon in den 30ern war das Innviertel ein reges Betätigungsfeld von aus dem »Altreich« einsickernden Nationalsozialisten. 1935 stieg ein Rieder zum Führer der SS in Österreich auf: Ernst Kaltenbrunner, Burschenschafter der Arminia Graz. Nach dem Ende des »tausendjährigen Reiches« zogen weitere Nazis an den Inn, aus Deutschland ebenso wie aus dem Mühlviertel) als dieses ab August ’45 von den Sowjets übernommen wurde – viele Tausende, darunter wohl nicht wenige Nazis flohen in diesen Tagen über die Donau in die amerikanisch verwalteten Teile Oberösterreichs.

Dazu kam ein sehr hoher Anteil an »Volksdeutschen« Flüchtlingen8, die man zwar keineswegs pauschal als rechts verorten kann, deren Verbände aber sicher ihren Beitrag zu völkischen Stimmungen leisteten und leisten. Der rechte Aderlass aus Angst vor den »Russen« sorgte im Mühlviertel dafür, dass sich dort bis weit in die 80er Jahre kaum Parteistrukturen der FPÖ bildeten. Das Innviertel hingegen wurde zu einer Hochburg derselbigen, flankiert und unter Kontrolle von deutschnationalen Burschenschaften wie der Rieder »Germania« oder der Schärdinger »Scardonia«, die 1964 von Lutz Weinzinger hochderoselbst gegründet worden war.

Ein Österreicher zuviel

»Wir hatten schon mal einen Österreicher zuviel«9, so begründete der niedersächsische Innenminister 1991 die Ausweisung eines gewissen Karl Polacek aus Deutschland. Der Wiener Polacek war Landesvorsitzender der neonazistischen »Freiheitlichen Arbeiter Partei« (FAP), die bald darauf verboten wurde. Er war einer der aktivsten und militantesten Neonazis jener Zeit und wurde unter anderem verurteilt, weil er mit einer Axt (!) auf eine Antifaschistin eingeschlagen hatte. In seinem deutschen Umfeld kam es regelmäßig zu Gewalttaten bis hin zum Mord.

Zwei Mitglieder seiner Bande erstachen 1991 einen Bundeswehrsoldaten10. Nach seiner Ausweisung aus dem »Altreich« fand er Unterschlupf beim Altnazi Fritz Rebhandl in Salzburg, von wo er begann, die Innviertler Nazi-Skinheadszene zu organisieren und bald an die 50 junge »Kameraden« um sich scharte.11 Aktiv war Polacek vor allem in der Braunauer Gegend, die Zeitung der Gruppe nannte sich dementsprechend »Braunauer Ausguck«, in ihr wurde unverhüllt ein militanter Neonazismus gepredigt. Jahrelang konnte Polacek in diesem Sinne ungestört agieren und organisieren.

Trotz einer Reihe von Anzeigen gab es jahrelang keine Verfahren gegen ihn. Zuständiger Staatsanwalt in Ried: Heinrich Steinsky, schlagender Burschenschafter der »Suevia«. Dieser war bereits Jahre zuvor in Salzburg wegen Amtsmissbrauch angezeigt worden, weil er trotz zahlreicher Anzeigen keine Anklage gegen den Nazi Fritz Rebhandl erhob. Unmittelbar nach Steinskys Wechsel nach Ried wurde Rebhandel angeklagt und verurteilt.

Mittlerweise mehrmals eingeknastet, lebt Polacek heute in Griechenland. Seinen Idealen ist er treu geblieben, nur hat der mittlerweile 75-jährige die Axt endgültig gegen den Stift getauscht: zuletzt schrieb er einen Beitrag für das Buch »Als wir .befreit‘ wurden«. Herausgeber: Andreas Mölzer12. Einer der Unterstützer Mölzers und in dessen Personenkomitee bei der EU-Wahl 2004 ist auch ein gewisser Staatsanwalt Heinrich Steinsky, nur so nebenbei erwähnt.

Ab und zu überlebt’s einer nicht

Aus dem Umfeld von Polacek stammten auch die Mörder von Raimund F., der ’95 unter nie wirklich geklärten Umständen in Ried erschossen wurde (Staatsanwalt im Prozess: Heinrich Steinsky). 2002 war es der 18-jährige SV Ried-Fan Dominic, der die braune Aggression nicht überstand. Er wurde 2 Tage vor Weihnachten von Rechtsextremen zusammengeschlagen und verstarb an den Folgen. Im November wurde im bayrischen Simbach, vis-a-vis von Braunau, ein Obdachloser von Dorfjugendlichen zu Tode geprügelt. Politische Motive werden Stets ausgeklammert oder gar vertuscht. Das Problem der militanten Rechtsextremisten wird im öffentlichen Diskurs, bei weitem nicht nur im Innviertel, gern zu einem allgemeinen Problem mit »gewalttätigen Jugendlichen« umgelogen, denen man wiederum nur mit »rechten« Methoden (härtere Strafen etc.) beikommen könne.

Mit bunter Kultur gegen die braune Unkultur

So alt wie der Nazismus ist auch der Widerstand dagegen, der auch hier auf vielfältige Art und Weise daherkommt. Der kulturelle ist ein wichtiger Teil davon. Jahrelang war etwa der »Kulturpolitische Aschermittwoch« ein wichtiger Gegenpol zum »Politischen« der FPÖ.

Die Lage ist jedoch keine leichte nicht. Während Rechte und Rechtsextreme den öffentlichen Raum auf Massenevents wie der Rieder Messe beinahe dominieren, bleiben die Kulturbegeisterten meist unter ihresgleichen. »Es treffen sich mehr oder weniger die allseits Bekannten. Umgekehrt ist Zulauf garantiert, wenn das Niveau tief und der Spaßfaktor extrem hoch ist. Mir scheint, dass wir immer mehr in Parallelwelten leben« meint Heinz Wieser von »Kunst und Kultur Raab«13. Und er nennt auch ein leidiges Problem der Provinz, den Braindrain: »Meine Kinder und die vieler Bekannter hier im Ort, die sind weg, zum Studium oder für einen Job in die Städte«.

Durchaus bemerkenswert werkt in St. Pantaleon der Verein »meta.morfx« mit einem bunten Programm zwischen Electro, Rock und Ska. Die rund 50 Mitglieder haben in unzähligen Arbeitsstunden ein ehemaliges Fabriksgebäude für sich adaptiert und werken mit wenig Subvention und sehr viel Engagement. Die etwa 350 Besucherinnen pro Veranstaltung zeigen, dass es durchaus möglich ist, auch mit einem über Bierzelt-Niveau angesiedelten Programm massentauglich zu sein und so den braunen Rattenfängern vielleicht ein Stückchen Boden zu entziehen.

Thomas Rammerstorfer

1 Thor Steinar. »Kult«-Bekleidungsmarke der Neonazi-Szene
2 zit. nach »Braunauer Bezirksrundschau« 8. 1. 2009
3 zit. nach OÖN( 16. 6. 2006, siehe auch www.wno. org/newpages/chr08c.html
http://ooe.orf.at/stories/166836
www.hrb.at/bzt/doc/zgt/bl5/presse/ 20060921oesterreich.htm
www.doew.at/frames.php?/projekte/rechts/ chronik/2003_07/konzertl.html
www.widerstand.info/293/erfolgreiche-demonstration-in-ried-im-innkreis/
8 Grabmer, Volkmer, Die Volksdeutschen in Oberösterreich, Grünbach 2003, S. 88
9 zit. nach DIE ZEIT, 18. 10. 1991
10 www.doew.at/frames.php?/projekte/rechts/ chronik/2008_07/polacek.html
11 Purtscheller, Wolfgang, Aufbruch der Völkischen, Wien 1993, S. 396
12 www.andreas-moelzer.at/index.php?id=334
13 www.servus.at/kkraab

Thomas Rammerstorfer,  ist aktiv beim Infoladen Wels und der »Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (www.leeza.at).

Quelle: KUPF-Zeitung, Nummer 129, März 2009, www.kulturplattform.at

Der Misserfolg hat viele Väter

Die oberösterreichischen Behörden versagen im Kampf gegen Neonazis auf der ganzen Linie. Das Problem liegt nicht beim Verfassungsschutz alleine

Als ich im März 2010 erstmals auf den Neonazi-Club „Objekt 21“ stieß, dachte ich diese Angelegenheit würde sich innerhalb weniger Wochen erledigen. Die „Objektler“ agierten nahezu absurd dilettantisch. Tätowierte Hakenkreuze, völlig offensichtliche NS-Propaganda im Internet, SS-Runen als Wanddekoration, dazu kriminelle Aktivitäten. Der Kopf der Bande, Jürgen W., ein fanatischer Nazi, war zudem den Behörden bestens bekannt. Seit 2001 wurde er regelmäßig einschlägig verurteilt – in Oberösterreich ein Kunststück! – zuletzt 2009, wo er einen „Kampfverband Oberdonau“ leitete. Im Frühling 2010 also hätte es ohne jeden Zweifel mehr als genug Beweise gegeben, die Gruppe zu zerschlagen. Es dauerte aber noch fast drei Jahre, ehe die Behörden tatsächlich durchgriffen.

Fast drei Jahre, in denen die Ermittlungen von verschiedensten Stellen hintertrieben, verraten, verschleppt und sabotiert wurden. Als sich im August 2010 der Verfassungsschutz zu einer ersten Hausdurchsuchung aufraffte, war die Bande aus Kreisen der Vöcklabrucker Polizei vorgewarnt. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck sollte noch bis zum nächsten Jahr brauchen, um zumindest den Verein aufzulösen. Die Staatsanwaltschaft Wels zögerte trotz eindeutigster Beweislage jahrelang mit einer Anklageerhebung.

Fast drei Jahre, in denen die Neonazis ihre Aktivitäten intensivieren und professionalisieren konnten. Eine Firma wurde gegründet, mehrere Rotlicht-Unternehmen übernommen, ein Versand für Fascho-Brimborium entstand; parallel dazu veranstaltete man weiter Nazi-Konzerte und nistete sich in zahlreichen Nischen krimineller Ökonomie ein: Frauenhandel, Waffenhandel, Drogenhandel, ja selbst Handel mit gestohlenem Metall wird der Bande vorgeworfen. Dazu noch Brandanschläge, Körperverletzungen und zahllose weitere Delikte. Woche für Woche neue Verbrechen. Die Behörden schauten zu, schauten weg, was auch immer.

Fast drei Jahre, in denen die Nazi-Mafiosi in aller Öffentlichkeit agierten. Allein die Tageszeitung „Österreich“ widmete der Bande 21 (!) Artikel – vor dem Zugriff der Polizei im Jänner 2013. Bei meinen Vorträgen in diesen Jahren an Schulen oder Jugendzentren im Bezirk Vöcklabruck musste ich feststellen, dass das Treiben der „Objektler“ selbst unter 15-jährigen in der Region allgemein bekannt war. Und schon 2011 räumte ein Verfassungsschützer ein, die Bande würde auch in Drogen und Waffen machen.

Fast drei Jahre, in denen der ab 2010 (wegen seiner Delikte mit dem „Kampfverband Oberdonau“) inhaftierte Jürgen W. die Geschicke der Gruppe weiterhin leiten konnte, aus dem Knast, via Handy und facebook. Als „Suben Knaki“ ist W. dort registriert, ebenso wie die andren Köpfe der Bande problemlos auszuforschen. Um die Ermittlungen der Polizei abzukürzen, hätte auch ein Blick auf facebook genügt, wo „Objekt 21“ über eine offen einsehbare Fanseite verfügt, Rubrik „Lokales Geschäft“.

Wohl noch nie in Österreich hat eine dermaßen kriminelle, wenn nicht terroristische Organisation so lange und so ungeniert in aller Öffentlichkeit agieren können. Der Fehler ist sicher nicht nur beim Verfassungsschutz zu suchen. Polizei, Justiz, die Bezirkhauptmannschaft und die Landespolitik haben kollektiv versagt. Die Details dieses Versagens müssen schleunigst aufgedeckt werden.

Auch sollte an Menschen gedacht werden, die in der bisherigen Diskussion nicht erwähnt wurden: Den Opfern. Wenn tatsächlich auch Menschenhandel und Zwangsprostitution im Spiel waren, wäre es interessant zu erfahren, ob und wie man den Betroffenen helfen kann bzw. sie vor eventuell drohenden fremdenpolizeilichen Repressalien schützen kann.

Thomas Rammerstorfer beschäftigt sich mit Rechtsextremismus und Jugendkulturen (Vortragsreihe „Brauntöne“). Er ist aktiv beim Infoladen Wels und Vorstandsmitglied der Welser Initiative gegen Faschismus.

 

Die Vergessenen von Wels-West

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen des Problemviertels Noitzmühle sitzen in einem Boot – von der Politik weitgehend ignoriert müssen sie lernen gemeinsam zu rudern, wenn sie voran kommen wollen

„An einem an sich unscheinbaren Ort, im Volksmund `Noiz-Mühle` genannt, entsteht wieder ein neues Wels-Lichtenegg. Für gut 3000 Familien wird hier Platz geschaffen. Architekten und Bauleute schwärmen: Nach neuen Erkenntnissen der Gestaltung und Architektur, mit viel Kinder-Grün zwischen den Lang- und Hochbauten, mit Garagen `unten drunten`, mit Hobby-Räumen für die Freizeit, mit Platz für Kirche, Schule, Kindergarten, Einkaufszentrum.“

So schwärmte Sepp Käfer, Wels-Biograph in seinem 1975 als Buch erschienen „Porträt der Stadt“ über die im Entstehen begriffene Noitzmühle. Seine Erwartung „blühender Landschaften“ schien nicht gänzlich unberechtigt: Der neue Stadtteil, mit großen Wohnungen für Familien, lag verkehrsgünstig in der Nähe von Bundesstraße und der Autobahn, aber auch idyllisch an der Traun und ihrem Auwald. 2011 muß man über Käfers Hoffnungen schmunzeln – oder weinen. Schule und Kirche wurden nie gebaut; es stehen nur der Kindergarten und das Einkaufszentrum – letzteres allerdings nahezu leer. Einst gab es hier eine Bank, einen Friseur, eine Bäckerei, einen Blumenladen, ein Fotogeschäft, eine Trafik, ein Gasthaus, einen SPAR-Supermarkt und später auch ein türkisches Lebensmittelgeschäft. Einst. Jetzt gibt es davon lediglich die Trafik. Und ein oder zwei Wettbüros, jene untrüglichen Zeichen des Niedergangs. Vor dem Gasthaus, wo früher die Bürgermeister Ostereier oder Blumen zum Valentinstag verteilten, stehen heute Kerzen, als letzter Gruß für den Anfang Februar erstochenen Wirt. Das ist das Einkaufszentrum, von den Stadtplanern einfallsreich EKA-West getauft. Die Einheimischen haben gar keinen Namen dafür – man geht ja auch nicht mehr hin.

Anfang der 90er schrillten erstmals die Alarmglocken. In der Noitzmühle hatte sich eine Bande Neonazis gebildet, die mit Schlägereien und Einbrüchen von sich reden machte. Sozialarbeiter nahmen sich ihrer an; ein Jugendzentrum wurde eröffnet. Zumindest das Rechtsextremismus-Problem löste sich auch mit einer Veränderung der Bevölkerungsstruktur:

Als Mitte der 70er-Jahre die ersten großen Wohnungen für die Baby-Boomer fertiggestellt wurden, hörten diese doch glatt schlagartig mit dem Kinder kriegen auf. Die Geburtenrate sank so wie die Scheidungsquote anstieg. Klein- und Kleinstfamilien hatten weder Bedarf noch Geld für große Wohnungen. Normale Familienstrukturen, oder was man dafür hielt, existierten überdurchschnittlich noch bei türkischen oder jugoslawischen MigrantInnen, die jetzt in die Noitzmühle kamen.

Mit ihrem Kommen begann die Welser Politik ihr Interesse am Stadtteil zu verlieren. Was soll man sich auch groß um Leute kümmern, die einem nicht mal wählen können, die keine Lobby oder Interessensvertretung haben? Die Stimmung wurde schlecht. Die andren LichteneggerInnen, zu einem großen Teil „volksdeutsche“ und ungarische Flüchtlinge und deren Nachkommen, haben ihre eigenen Migrationshintergründe vergessen und stehen den neuen Nachbarn ablehnend gegenüber. FPÖ und ÖVP beginnen eine regelrechte Hetze gegen die NoitzmühlerInnen, notorische Querulanten bombardieren die Servicestellen des Magistrates mit Beschwerden: Die Kinder sind zu laut, im Stiegenhaus stehen Dreiradler, der Müll wird nicht richtig getrennt…

Die ÖsterreichInnen, die hier bleiben, sind oft aus sozial schwächeren und bildungsfernen Milieus, sie werden regelrecht gegen die TürkInnen aufgehetzt, mit denen sie ja eigentlich im selben Boot sitzen. Die Politik setzte nicht auf Sozialarbeit oder Schaffung lebenswerter Strukturen, sondern auf Verbote. Ab Ende der 90er-Jahre wuchs ein wahrer Wald an Verbotsschildern: Ballspielen in den Grünanlagen, Alkohol trinken im Park, Grillen auf den Schotterbänken an der Traun – verboten. Selbst am Fußballplatz ist das Fußball spielen nicht erwünscht – deshalb hat der Magistrat die Tore entfernt.

Wer Fußball spielen will, soll zu einem Verein gehen, steht auf Schildern zu lesen. In der Noitzmühle gibt es aber keinen Verein, sowie im gesamten Stadtteil Lichtenegg. Vernünftige Initiativen, meist von der sozialdemokratischen Basis, wie etwa die Forderung eines Stadtteilzentrums im ehemaligen SPAR-Markt, verhallen ungehört. Strukturen verbessern? Gern, aber zuerst mal dort, wo die reichen Kinder wohnen. Planungsfehler gab es auch bei den Freizeiteinrichtungen: Der Schlittenberg, über einem Bunker aus dem Krieg aufgeschüttet, ist nach Süden ausgerichtet, der Schnee schmilzt schnell weg. Auch das Jugendzentrum wurde wieder geschlossen. Die Räumlichkeiten waren ungeeignet, Ersatz ist ebenso bitter nötig wie nicht geplant. In der ganzen Lichtenegg gibt es für die etwa 800 Jugendlichen im Alter von 15 bis 18 Jahren kein Jugendzentrum mehr. Somit auch keinen Ort, wo die Jugendlichen mit Streetworkern in Kontakt treten könnten.

Öffentlichen Verkehr in die Innenstadt gibts weder in der Nacht noch an Sonn- und Feiertagen. Trotzdem Wels eine ausgesprochen niedrige Kriminalitätsrate hat, wurde eine „Ordnungswache“ installiert.

Die Noitzmühle ist heute eine vergessene Welt. Die Medien berichten von der westcoast, wie die Jugendlichen sagen, wenn dort wer stirbt. Die Schauplätze der letzten drei Tötungsdelikte in Wels liegen dort, im Umkreis von einigen Dutzend Metern.

Trotz alledem ist die Noitzmühle, vor allem ihre Bewohnerinnen und Bewohner, besser, lebenswerter als ihr Ruf. Die von der Sozialistischen Jugend und andren linken Gruppen organisierte Feier zum 1. Mai 2010 war ein großer Erfolg, an die 700 Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen haben sich daran beteiligt. Beim Aufstellen des Maibaums des „Aktiv-Teams“ engagierter BürgerInnen harmonierten Blasmusik und türkische Folkloretänze. Die Kinder und Jugendlichen begegnen einander oft vorurteilsfreier als ihre Eltern. An schönen Tagen spielen oft hundert oder mehr Menschen am torlosen Fußballplatz, und nicht selten besteht eins der zusammen gewürfelten Teams aus Angehörigen beider Geschlechter, dreier Generationen und vier oder mehr Nationalitäten. Und wenn einmal die Noitzmühlerinnen und Noitzmühler den Zusammenhalt und die Solidarität aus den Fußballmatches in die Realität übertragen können, werden sie auch ernst genommen werden. Zu hoffen bleibt dann auch, dass die WählerInnen erkennen, dass soziale Probleme mit Hetzparolen und Schikanen nicht gelöst, sondern vergrößert werden und sich jene, die nur Öl ins Feuer gießen wollen, dabei mal ordentlich die Finger verbrennen.

Fakten:

12 542 EinwohnerInnen zählt Wels-Lichtenegg, davon 2579 Nicht-österreichische StaatsbürgerInnen (Anteil etwa 30 % in der Noitzmühle, etwa 20 % in ganz Lichtenegg). 2009 waren mehr als 3000 LichteneggerInnen unter 18 Jahre alt, 767 im Alter von 15 – 18.

Quelle: Statistisches Jahrbuch der Stadt Wels 2009

 

 

Bunte, Braune, brave Bürger. Aktueller Rechtsextremismus in Wels

Der oberösterreichische Zentralraum stellt eine traditionell fruchtbare Region für deutschnationale und rechtsextreme Strömungen dar. Insbesondere Wels verfügt über historisch gewachsene Milieus.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde dieses Faktum bei den Gemeinderatswahlen 2009 bewusst, bei denen die FPÖ 29,9 % der Stimmen erreichte und die neonazistischen „Bunten“ eine Kandidatur versuchten. Letztere wäre wohl auch mit dem Einzug in den Gemeinderat belohnt worden, wäre der Wahlvorschlag nicht wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit abgelehnt worden. Unter der Fuchtel des sich seit Jahrzehnten immer wieder betätigenden Ludwig Reinthaler hatten sich diverse rassistische Querulanten und rund 20 Angehörige der Vogelweider Skinhead-Szene zusammengetan. Seit Ende der 1980er Jahre existiert in diesem Stadtteil ein – behördlich unangetastetes – Milieu, das mal diese, mal jene Gruppe bildete: Rapid Club Wels, Patriotic Front, Club Wels, White Wolfes (sic!), die Bunten oder seit Neuestem ein unter dem Namen Road Crew Oberösterreich auftretender Zusammenschluss von Neonazis und Hooligans. Nachwuchs rekrutiert sich aus von Kriminalität, Gewalt sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch geprägten „White Trash“-Familien. Dementsprechend niveauvoll agiert man: So wünschte Jochen L., 2003 Kandidat der Welser FPÖ, im Jänner Bürgermeister Koits und das „Kanackengesindel“ „ins Kurhotel Ausschwitz“ (sic!). Getätigt wurde die Äußerung in der facebook-Gruppe „I mog Wels nimma!“. Frühpensionist Jochen L., dessen Schwester 2009 für die Bunten kandidieren wollte, entschuldigte seine Äußerung später damit, dass er unter Drogeneinfluss gestanden hatte. Hass und Gewalt prägen die Szene. 2011 wurde ein Noitzmühler Wirt Zufalls(-todes)opfer eines Rechtsextremen, des wegen seines Hitler-Tatoos bekannten Peter H. Im Sommer desselben Jahres forderten Übergriffe von Rechtsextremen zahlreiche z. T. Schwerletzte in der Innenstadt. Im Dezember 2012 wurden zwei sich küssende Männer von homophoben Schlägern schwer verletzt. Zu den Drohungen und Gewaltakten kommen immer wieder Schmier- und Pickerlaktionen.

Doch Rechtsextremismus ist bei weitem kein auf die Unterschicht beschränktes Phänomen. Auch in den höheren Schulen mehren sich Versuche, Jugendliche zu agitieren und zu organisieren. 2012 war hier insbesondere die NS-Splittergruppe „Heimatpartei Österreich“ (HPÖ) aktiv. Traditionell werden die Oberstufen von der Burschenschaft Gothia beackert. Der Männer- bzw. Bubenbund bietet deutschnationalen Freizeitspaß mit Fechten, Schießen und vor allem ausgiebigen Trinkgelagen.

Die Welser Freiheitlichen versuchen sich betont gemäßigt zu geben, um bürgerliche WählerInnenschichten nicht zu vergraulen. Doch nicht nur Hinterbänkler wie der erwähnte Jochen L., auch Vize-Bürgermeister Bernhard Wieser selbst hat offenbar ein durchaus ungezwungenes Verhältnis zur Braunzone. Er unterschrieb 2009 eine Unterstützungserklärung für die später verbotene Neonazi-Truppe Nationale Volkspartei. Selbst seine eigenen, und somit des Antifaschismus sicherlich unverdächtigen, ParteikollegInnen der FPÖ Enns bezeichneten die NVP als „braune Zecken“… Landesparteiobmann Haimbuchner aus Steinhaus, einst Schüler in Wels, ist ebenso gut vernetzt mit rechts außen. So ist er stellvertretender Vorsitzender des Witiko-Bundes, einer üblen revanchistischen Vereinigung. Der bisherige Obmann, Robert H., sitzt derzeit eine Haftstrafe wegen Waffen- und Kriegsmaterialschmuggel ab, ein für dieses Milieu nicht untypisches Delikt.

Faschistisches, rassistisches und antisemitisches Gedankengut sind aber nicht ausschließlich unter „Einheimischen“ kursierende Phänomene. Bei subkulturellen Neonazis und der FPÖ tummeln sich durchaus auch Menschen mit z. B. kroatischem oder ungarischem Migrationshintergrund. Man findet sich im autoritären Denken und dem gemeinsamen Hass auf den Islam. Unter den MuslimInnen wiederum existieren Splittergruppen, die rabiaten Antisemitismus verbreiten, oder faschistische Gruppen wie die türkischen „Graue Wölfe“. Antisemitische Tendenzen und Weltverschwörungstheorien finden sich auch in der Esoterik-Szene.

Der klassische Nazi-Skinhead ist ein Auslaufmodell, die letzten alten Nazis bald gestorben. Antidemokratischer Extremismus und rechte Gesinnung haben heute neue Gesichter. Dementsprechend muss ein moderner Antifaschismus vielfältige Aufklärungsarbeiten leisten: Wir dürfen einerseits nichts vergessen, müssen aber auch in der Lage sein, Neues zu lernen.

aus Stadtplanet Wels, Nr. 15

Zur historischen Entwicklung des Rechtsextremismus in Wels:
http://kvinfoladenwels.wordpress.com/2011/12/06/rechtsextremismus-und-neonazismus-in-wels/

Thomas Rammerstorfer, geb. 1976, aktiv beim Infoladen Wels, der Liga für emanzipatorische Entwicklungzusammenarbeit und Vorstandsmitglied der Welser Initiative gegen Faschismus. Recherchiert zu Migration, Integration, österreichischem und türkischem Rechtsextremismus und Jugendkulturen; zahlreiche Vorträge und Artikel dazu. Mitarbeiter im Rechercheteam von Corinna Milborn für das Buch „Gestürmte Festung Europa“ (2006), Mit-Autor von „Grauer Wolf im Schafspelz“ (2012)