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Salafismus in Wels

Jüngst wurde von FPÖ und ÖVP eine Debatte um zwei mutmaßlich salafistische Vereine in Wels losgetreten. Doch, obwohl beide diese Vereine seit Jahren in Wels aktiv sind, scheinen den Welser Stadtvorderen nur wenige Fakten bekannt zu sein, viel mehr ergeht man sich in Spekulationen.
ES WIRD ZEIT, SICH MIT DEN TATSACHEN ZU BESCHÄFTIGEN, DIE ZU DEN BEIDEN VEREINEN BEKANNT SIND.

SALAFISMUS

Der Salafismus strebt eine Rückbesinnung auf die Gemeinschaft der „Altvorderen“ (al Salaf), der ersten Gemeinschaften um den Propheten Mohammed, an. Man unterscheidet drei Hauptströmungen: Den puristischen Salafismus, den politischen Salafismus und den militanten, „djihadistischen“ Salafismus.

Salafismus ist also nicht gleichbedeutend mit Terrorismus. Nur ein kleiner Teil dieses Spektrums befürwortet Gewalt, ein noch kleinerer übt sie auch aus. Nichtsdestotrotz ist die ultrakonservative Strömung im Islam aus vielfacher Hinsicht problematisch: Wegen ihres Frauenbildes, ihrer Homophobie, der mangelnden Befürwortung einer Trennung von Religion und Staat[1].

Präsenz zeigten Salafisten in den letzten Jahren vor allem durch die „Street Dawa“ („Straßenmissionierung“) mit den berühmten Koran-Verteil-Aktionen. Solche Aktivitäten gab es auch in Wels, zuletzt 2014[2].

WELS: SAHWA, RINIA ISLAME WELS UND MARKAZ

In Wels existieren die Vereine SAHWA und MARKAZ. Dass die beiden jegliche Zusammenarbeit mit Behörden verweigern, wie behauptet wird, kann so nicht nachvollzogen werden; zumindest sind beide ordnungsgemäß im Vereinsregister eingetragen und somit eigene Rechtspersonen. Und das nicht erst seit gestern: SAHWA (arabisch für „Erwachen“) ist seit 2007 offiziell gemeldet, MARKAZ (arabisch für „Zentrum“) seit 2010. Dementsprechend sind die Namen der Funktionäre auch bekannt und für jeden ersichtlich.

Konspiratives Verhalten kann man SAHWA ebenso nicht vorwerfen. Man betreibt zwei Facebook-Seiten, die frei einsichtlich sind, und wo in bosnischer und deutscher Sprache über Aktivitäten informiert wird. Von verschiedenen Predigten gibt es Youtube-Videos. Neben den Predigten des heimischen Imam, der gleichzeitig Vereinsobmann ist, kam es auch immer wieder zu Besuchen von „Szenegrößen“ des politischen Salafismus wie Pierre Vogel oder Muhamed Ciftci alias Abu Anas. Die meisten SAHWA-Moscheegänger haben bosnischen Migrationshintergrund.

Quasi die albanisch-sprachige Sektion von SAHWA stellt die RINIA ISLAME WELS (albanisch für „Islamische Jugend Wels“) da. Diese Gruppe existiert zumindest seit 2015, steht wie SAHWA unter dem Einfluss saudi-arabischer Prediger und scheint durchaus eigenständige Aktivitäten in den Räumlichkeiten von SAHWA zu entfalten. RINIA ISLAME WELS betreibt eine eigene Facebook-Seite (meist in albanischer Sprache) sowie einen eignen Youtube-Channel. Dort findet man (auf deutsch) eine Reihe von Predigten des Muhamed Ciftci alias Abu Anas. Einen besonderen Stellenwert scheint auch der Imam der Linzer albanischen Glaubensgemeinschaft BUJARIA, Omer Berisha, (www.omerberisha.com) zu haben. BUJARIA ist Mitglied der offiziellen „Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich“ und nicht dem salafistischen Spektrum zuzuordnen. In den Räumlichkeiten von SAHWA scheinen also sowohl VertreterInnen des gemäßigten „puristischen“ salafistischen Spektrums als auch des konservativen „Mainstream“-Islams zu lehren.

Schwieriger ist die Einschätzung von MARKAZ. Der Verein wurde 2014 mit dem Kauf der ehemaligen „Billa“-Filiale in Lichtenegg einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. Zuvor hatte man sich schon jahrelang in der Fabrikstraße getroffen, wo sich auch heute noch der offizielle Sitz laut dem Vereinsregisterauszug befindet. Das Lokal in Lichtenegg gehört dem „Hodscha“ („Lehrer“) Esref K., es liegt dort aber anscheinend keine Betriebsgenehmigung vor. Versuche es umzubauen oder zu verkaufen scheiterten bislang. Mehrheitlich haben die Aktiven türkischen Migrationshintergrund, was eher ungewöhnlich ist, da der Salafismus in der Türkei nur wenig verbreitet ist. Aktivitäten von MARKAZ sind derzeit kaum nachzuvollziehen. Auf dem eigenen youtube-Channel sind nur vier ältere Videos zu finden. Eines zeigt einen Besuch des erzreaktionären türkischen Hodschas Abdulmetin Balkanlıoğlu in Wels. Ideologisch dürfte MARKAZ zur Tablighi Jamaat-Bewegung („Gemeinschaft der Verkündigung“) zuzuordnen sein. Das ist eine bereits seit den 1920ern existierende Frömmigkeitsbewegung, oft auch „Deobandis“ genannt. Aus der Deobandi-Schule gingen auch die afghanischen Taliban hervor. „Die Tablighi Jamaat kam in den vergangenen Jahren zunehmend in den Focus der Terrorismusabwehr, da eine Reihe von späteren Terroristen, darunter insbesondere Konvertiten, über die Tablighi Jamaat ihren Zugang zum extremistischen Islam fanden.“ attestiert der österreichische Verfassungsschutz[3]. Aus Deutschland gibt es Berichte, dass die Tablighis versuchen Flüchtlinge für ihre Sache zu gewinnen.[4] Harmlos scheint diese Gruppe also keineswegs zu sein.

WAS TUN?

Für alle genannten Gruppen gilt: Sie stehen bereits seit Jahren unter Beobachtung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, ohne dass bislang irgendwelche kriminellen oder gar terroristischen Verstrickungen nachgewiesen werden konnten.

Extremismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Man kann es nicht alleine Polizei und Justiz überlassen, dieses Problem zu lösen, zumal es für diese keine Handhabe gibt, so lange keine konkreten Verdachtsmomente auf Straftaten vorliegen. Des Weiteren können Polizei und Justiz sehr gut auf Zurufe aus der Politik verzichten. Die Aufgabe der Politik ist vielmehr die Präventionsarbeit; d. h. durch Aufklärung, Sozial-, Integrations- und Bildungsarbeit solchen Tendenzen entgegenzutreten. Davon ist man in Wels leider noch weit entfernt, weswegen sich die Stadt neben ihrer „hausgemachten“ Problemkinder auch eines gewissen Zuzugs religiös- wie rechtsextremistischer Personen „erfreut“.

Quellen:

[1] https://antifawels.wordpress.com/2014/10/08/salafismus-als-massenphanomen/

[2] http://www.thomasrammerstorfer.at/2014/11/27/salafismus-und-reaktion-in-oberoesterreich/

[3] http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Verfassungsschutz/Verfassungsschutzbericht_2006.pdf

[4] http://www.verfassungsschutz.bayern.de/ueberuns/medien/aktuelle_meldungen/bayerischer-verfassungsschutz-warnt-mit-flyer-vor-islamistischen-anwerbeversuchen-unter-fluchtlingen/

Spartas Speerspitzen des Rückschritts: Die Identitären

aus: Versorgerin Nr. 109 (http://versorgerin.stwst.at/)

Die „National Partei Österreichs“, die „Republikanischen Patrioten“, die „Alternative für Österreich“, diverse „Pegidas“ und „Bürgerwehren“… aus dem derzeitigen bundesweiten Wildwuchs an Gruppierungen neben und rechts der FPÖ stechen die „Identitären“ als vermutlich professionellste Kraft hervor.
Großspurig sieht man sich als „die erste freie, patriotische Kraft, die sich aktiv und erfolgreich für Heimat, Freiheit und Tradition einsetzt“ (1). Spektakuläre, provokante und via social media gut vermarktete Aktionen haben ihnen zumindest kurzfristig den gewünschten Medienhype beschert. Mittlerweile sind die Identitären in allen Bundesländern organisiert. Seit Jahresbeginn vergeht kaum eine Woche ohne aufsehenerregende Aktionen, Demonstrationen und Kundgebungen.

Die Idee

„Völlige Übereinstimmung, Gleichheit, Wesenseinheit“ fällt dem Wörterbuch zum Begriff „Identität“ ein. Die Grundannahme der Identitären ist demzufolge, es gäbe ein österreichisches bzw. europäisches Volk, das in seiner Wesensart und in weiterer Folge auch seinen Interessen übereinstimmt. Dies gilt es „GEGEN diesen Multikulti Wahnsinn gegen die Masseneinwanderung und gegen die Islamisierung“, und natürlich gegen die inneren Schweinhunde, die Kollaborateure „von den Konzernen, Politikern und linken Medien“.
Und wenn man sich schon inhaltlich an den einfachen Gut/Böse-Schemata von Märchen, Sagen und Hollywood-Schinken bedient, kann man auch gleich die Optik mit übernehmen. Dabei scheinen die Identitären vor allem vom Neo-Sandalenfilm „300“ inspiriert, der eine fiktionalisierte Begebenheit aus den Perserkriegen erzählt: König Leonidas und seine 300 tapferen spartanischen Recken verteidigen Griechenland gegen eine zahlenmäßig weit überlegene, aber eben weit weniger tapfere (weil kulturell auf niederer Stufe stehender) persische Armee. Dieser verfilmte „Männlichkeitsirrsinn um Blut, Boden und Kriegerehre“ (2) fand offenbar in den Identitären einige SeherInnen, die ihn tatsächlich ernst nahmen. So findet sich das „Lambda“-Symbol aus dem Film auch auf den Schildern (!), Fahnen und sonstigen Propaganda-Klimbim der Bewegung. Wie ihre filmischen Vorbilder wähnen sich die Identitären als letzte Hoffnung zur Rettung des Kontinents vor den anstürmenden asiatischen Horden:
„Es geht mittlerweile um unser nacktes Überleben als Österreicher und Europäer. Wir haben keinen Rückzugsraum mehr“
und
„Wir sind die Bewegung, deren Generation für einen falschen Blick, weil sie jemand eine Zigarette verweigert oder eine andere Art sich zu kleiden hat, getötet wird.“
Solcherart dem Tode geweiht gibt man sich kämpferisch. „Wir wollen unser Erbe und unser Land erhalten. Wir wollen die identitäre Idee auf die Straße tragen. Patriot ist, wer nicht nur redet, sondern auch handelt“ und verbal abenteuerlustig, wie`s der pubertierende Spießer nun mal gern hat: „Noch mehr vereint uns aber die Sehnsucht nach einer Wende und die Suche nach einem Abenteuer. Wir haben ihr langweiles Konsumleben satt, wir wollen hinein ins echte Leben!“ (3)
Und Gewalt gehört da auch dazu: „Wir wollen dem gesamten patriotischen Österreich (…) eine Stimme, ein Gesicht und eine Faust geben“.

Die Identitären als Organisation

2003 wurde ein „Bloc identitaire“ von französischen Rechtsextremisten gegründet. Offen faschistische und rassistische Ideen waren bzw. sind in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditiert, so konstruierte die „Neue Rechte“ ihre Feindbilder um. Man sah sich nicht mehr als Vertreter eines klassischen Nationalismus oder Rassismus, sondern eines an „Kulturkreisen“ angelehnten „Ethnopluralismus“. Sprich: Alle „Völker“ sind eh lieb und nett, aber man soll sie bitte nicht mischen, weil dies unweigerlich in der Apokalypse endet.
Im deutschsprachigen Raum kam die neue Idee mit Verspätung an. Lange hatten die Alt-Nazis eine „Modernisierung“ des Faschismus verhindert. Optisch und kulturell hatte man sich zwar schon ab den 1980ern bei den Jugendbewegungen bedient, ein wirklicher inhaltlicher Neuanfang abseits des Hitlerismus hatte jedoch nicht stattgefunden bzw. blieben die entsprechenden Versuche auf kleine Zirkel beschränkt. Erst ab 2012 wurde die „Identitäre Bewegung“, inspiriert von den medialen Erfolgen ihrer französischen Pendants, in Deutschland und Österreich aktiv. Ihren ersten breit rezipierten Gag feierten die Wiener mit einer symbolischen „Gegen-Besetzung“ der zu diesem Zeitpunkt von Flüchtlingen okkupierten Votivkirche. Die taktische Vorgabe schien von Beginn an klar: Mit möglichst geringem Aufwand und Risiko soll maximaler Wirbel erzeugt werden, zum einen um die „normalen“ Medien zu erreichen, zum anderen um durch die Reproduktion der Aktionen via social media in Kontakt mit GesinnungsfreundInnen zu kommen. Inhaltlich konzentriert man sich vorrangig auf simple rassistische Botschaften (gegen AsylwerberInnen, gegen Muslime) bei gleichzeitiger Distanzierung von Rassismus, Faschismus etc… Auch optisch wird jede Bezugnahme zum Nationalsozialismus oder rechtsextremer Jugendkulturen wie der Skinheads tunlichst vermieden. Wir sind anders, möchte man sagen, keine hirnlosen Schläger in Bomberjacke oder Braunhemd, sondern besorgte junge BürgerInnen.
Die österreichischen Identitären dürften in Relation schon deutlich aktiver und „erfolgreicher“ sein als ihre deutschen GesinnungskameradInnen. Rechtsträger und Betreiber der österreichischen „Bewegungs“-Homepage ist der „Verein zur Erhaltung und Förderung der kulturellen Identität“, dessen Vorstand die Brüder Thomas und Martin Sellner bilden. Neben Wien kann man die Steiermark und Salzburg als Hochburg ausmachen. In Oberösterreich schwächelt die „Bewegung“ etwas. Einen regelmäßigen Stammtisch gibt es nur in Linz, Aktivitäten vereinzelt noch in Freistadt.

Neo-SalafistInnen und Identitäre: Jugendkulturen in und gegen eine globalisierte Welt

In Michel Houellebecq`s 2015 erschienenen Roman „Unterwerfung“ wenden sich zwei ehemalige Mitglieder der „Identitären“ dem politischen Islam zu. Sie sehen dort ihr reaktionäres Weltbild besser vertreten. Beschrieben wird hier kein neuer Wechsel: Das „Switchen“ von einer autoritären Ideologie zur anderen ist kein Massenphänomen, immerhin muss man dazu auch sein gesamtes soziales Umfeld auswechseln, passiert aber schon immer wieder mal. So finden sich im salafistischen Milieu ehemalige militante „Antiimperialisten“ von links genauso wie „geläuterte“ Neonazis (4). Das mag befremden, sind doch die MuslimInnen (und/oder AsylwerberInnen) das einigende Feindbild aller rechten Szenen und Milieus. Doch die inhaltlichen Überschneidungen zwischen den Extremen sind vielfältig: (antisemitische) Verschwörungsmythen, autoritär-patriarchale Strukturen, die Aufwertung des Eigenen durch Abwertung der Anderen, apokalyptisches Endzeitdenken, das Gefühl permanent benachteiligt oder gar verfolgt zu werden, die Ablehnung der als „hedonistisch“ wahrgenommenen „westlichen“ Welt… viele Gemeinsamkeiten in grundlegenden Fragen sind gegeben. Am fast auffallendsten ist die Sehnsucht nach einer heilen, sittenstrengen Idylle, die – wie könnte es bei so viel Angst vor der Zukunft auch anders sein – in der Vergangenheit liegt. Während sich die einen an den „ehrwürdigen, rechtschaffenen Vorfahren“ (arabisch „as-Salaf aṣ-Ṣāliḥ“), also den Gefährten und Nachfolgern Mohammeds orientieren, sind es bei den anderen die europäischen Gemeinschaften und Abwehrkämpfer gegen die „außer-kontinentalen“ Invasoren, die da stets aus dem Süden und Südosten antanzen. Man spintisiert sich in eine Traditionslinie, die von den Spartanern über Karl Martell bis zu Prinz Eugen und weiter reicht.
AnhängerInnen des politischen Salafismus wie auch der „Identitären Bewegung“ nutzen ähnlich geschickt die Vorteile der globalisierten Welt, trotz dem sie sich in ihr so unwohl fühlen. Allen voran die Mobilität von Nachrichten, Werbung und Personal im global digital village. Insbesondere des web 2 mit seinem Bilder- und Sprüchefetisch bedient man sich, ja man überflutet es regelrecht. Kaum ein Flugblatt, das in einen Briefkasten wandert, ohne dabei fotografiert und anschließend hochgeladen zu werden, kaum ein Sticker, Plakat oder Transparent im öffentlichen Raum, dessen Abbild nicht noch tausende Mal auf facebook reproduziert wird. Man versucht sich als permanent aktiv zu inszenieren und ruft auf, es einem gleichzutun. Hauptziel bleibt es jedoch, es über die Grenzen der social media communities noch in die Mainstreammedien zu schaffen. Das ist zwar zum einen in der österreichischen Medienlandschaft nicht allzu schwer – im Dezember 2015 wurde ein Identitärer sogar ins „Bürgerforum“ des ORF geladen – nur muss man sich stets was Neues einfallen lassen, der Boulevard verliert sonst schnell das Interesse an einem. Die Tat an sich zählt wenig, die Medien sind alles. Das aufsehenerregende Verteilen einiger Pfeffersprays an PassantInnen in Wien Mitte Februar birgt wahrscheinlich mehr Gefahren als Sicherheit für diese, egal, was zählt, wir sind aktiv, und wir haben Angst geschürt, und wir bieten die Lösung: Selbstjustiz.
Solche Aktionen sowie die jüngst aus dem heimischen Boden sprießenden „Bürgerwehr“-Projekte dienen natürlich auch dazu, das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen, die Demokratie verächtlich zu machen, als schwach und wehrlos darzustellen. Mit ähnlicher Intention gingen deutsche Salafisten als „Sharia Police“ 2014 im Wuppertal auf Tour. Die ExtremistInnen als Hüter von Recht und Ordnung, einig gegen die Dekadenz der liberalen Gesellschaft. Eigentlich könnten die Fans von Sparta und den Salaf fast gemeinsam auf Streife gehen. In der Wüste soll es schön sein.

Thomas Rammerstorfer

1 Alle Zitate, so nicht anders gekennzeichnet, von https://iboesterreich.at/ (Rechtschreibfehler im Original)
2 http://www.filmzentrale.com/rezis/300js.htm
3 Flugblatt „Einladung zur Veranstaltung: Die identitäre Bewegung in Österreich“
4 Siehe z. B.: „Nazi und Boxer konvertiert zum Islam“ auf https://www.youtube.com/watch?v=d-AKW7AQAcs

Salafismus und Reaktion in Oberösterreich

„Lies!“ ist die simple Forderung, unter der freundliche, meist bärtige junge Männer in mitteleuropäischen Innenstädten kostenlos Koranexemplare verteilen. 2011 startete die Aktion in Deutschland. Ziel ist es, allein dort 25 Millionen Exemplare unter die Menschen zu bringen, einen pro Haushalt. Mittlerweile wurde die Kampagne auf zahlreiche weitere europäische und asiatische Städte ausgedehnt. In Österreich bilden Wien und Linz die Schwerpunkte der Missionierungstätigkeit. Weitere im Jahr 2014 in dieser Hinsicht beglückte Orte in Oberösterreich waren/sind Wels, Steyr, Vöcklabruck, Braunau, Ried im Innkreis und Gmunden. Diese Street Dawa („Straßenmissionierung“) ist derzeit das wichtigste und für Außenstehende natürlich offensichtlichste Instrument salafistischer Propaganda. Immer wieder kommt es zu Debatten: Sind das harmlose Spinner, anständige Idealisten oder gar potentielle Terroristen, die ihre weißen „Lies!“-Westen jederzeit gegen einen Sprengstoffgürtel tauschen würden?

„Die wahre Religion“ in Österreich

Zwei offizielle facebook-Seiten betreibt das „Lies!“-Projekt in Österreich. Eine widmet sich der internationalen Kampagne und bringt Nachrichten aus aller Welt. Die andere berichtet ausschließlich über die Dawa-Aktivitäten in Österreich, in erster Linie die Koranverteilungen. Dazu kommt das eine oder andere Video von unbürokratischen Spontankonversionen. Es reicht, das islamische Glaubensbekenntnis nachzusprechen, schon wird man unter „Allahu Akber!“-Rufen in die Gemeinschaft aufgenommen. Die Bilder zeigen dekorierte Büchertische mit dem auf ein Buch begrenzten Sortiment und junge Männer, mit Bart, soweit es der Hormonhaushalt schon zulässt. Nur auf wenigen Fotos sind ältere Herren zu sehen, so z. B. bei jenen vom Tisch im Juni im Donauzentrum in Wien. Hier steht Ibrahim Abou-Nagie bei den Kids – einer der einflussreichsten Prediger der radikalen Szene und „Erfinder“ der Koranverteilungen. Der Besuch in Österreich wird auch auf Video festgehalten . Es zeigt Abou-Nagie in der Mariahilfer Straße – alle paar Sekunden wandert ein Koran über den Tisch in die Hände interessierter PassantInnen. Im Interview spricht er von 1 Million Konvertiten in Deutschland und schwadroniert munter drauf los über die freundlichen Menschen in Österreich und die Vorteile des Handabhackens als Strafe für Diebe: „Die Menschen, die Angst haben, dass ihre Hand abgehackt wird, die brauchen nicht zu klauen“. So einfach ist das.
Abou-Nagie und seine Gruppe „Die wahre Religion“ (DWR) sind die größte und aktivste Salafistengruppe in Österreich. Die österreichischen facebook-Seiten haben keine eigenen Homepages, sondern verweisen direkt auf Abou-Nagies www.diewahrereligion.de. Ident sind die österreichischen facebook-Inhalte auch mit jenen von www.hausdesqurans.de.
Während sich Abou-Nagie eher rarmacht, ist der charismatische und jugend-tauglichere DWR-Prediger Pierre Vogel Stammgast in Oberösterreich. Seit 2008 tritt er etwa einmal im Jahr hier auf, Gastgeber sind die einschlägigen Moscheevereine Kewser in Linz und Sahwa in Wels. An die 100 Zuhörende pro Vortrag (2012 in Linz anscheinend auch eine Schulklasse!) kann Vogel in Österreich anlocken. Zuviel, aber eingedenk seines Popstar-Status in der Szene eine doch überschaubare Menge.
Laut ernsthaften deutschen IslamexpertInnen wie Nina Wiedl und Claudia Dantschke ist DWR dem radikalen Spektrum zuzuordnen, d. h. zum „Djihad“ wie in Syrien wird zwar nicht aufgerufen, man zeigt jedoch durchaus Verständnis dafür. Verschwörungstheorien, Antisemitismus, das Delegitimieren demokratischer Systeme und die Abwertung von Frauen und Homosexuellen sind weitere Konstanten in der DWR-Propaganda.

Was tun?

Bei aller Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung: Pauschale Angriffe auf den Islam nutzen nur der radikalen Minderheit unter den MuslimInnen. Die anti-muslimischen Hetzer sind deren wichtigste Verbündete; Ausgrenzungs- und Diskriminierungserfahrungen treiben Jugendliche in die Hand extremer Prediger. Das heißt, ein wirkungsvoller Kampf gegen Desintegrationsprozesse muss immer auch einer gegen heimische rechte Hetzer sein.
Das bedeutet aber nicht, über antidemokratische Einstellungen und deren ideologische Hintermänner in der muslimischen Community zu schweigen. Diese Einstellungen finden sich über das salafistische Spektrum hinaus in einer Reihe nationalistisch-islamistischer Gruppierungen wie etwa in der türkischen Millî Görüş – Bewegung, oder in einer rechtsextremen Ausprägung bei den „Grauen Wölfen“. Die DemokratInnen werden in der nächsten Zeit an mehreren Fronten zu kämpfen haben.

Thomas Rammerstorfer

Was ist Salafismus?
Die AnhängerInnenschaft der „Salaf“ (arabisch: die Vorgänger, die Altvorderen) stehen für eine erzkonservative Richtung im sunnitischen Islam. Die Salafisten streben ein Leben nach einer wortgetreuen Interpretation des Koran an, sie lehnen alle Anpassungen, die die Religion seit dem 7. Jahrhundert widerfahren haben, ab. Der Salafismus ist keine neue Bewegung, weshalb von manchen IslamwissenschafterInnen für das heutige Phänomen auch der Begriff Neo-Salafismus verwendet wird. In Saudi-Arabien ist mit dem Wahhabismus eine Spielart des Salafismus Staatsreligion. ExpertInnen differenzieren vier verschiedene – allerdings untereinander korrespondierende – Stoßrichtungen: Die „puritanische“ Richtung, die in erster Linie im alltäglichen Leben den Koranregeln entsprechen will, sich aber nicht politisch betätigt. Eine zweite, politische Richtung, die aktiv „Dawa“, das muslimische Pendant zur christlichen Missionierung, betreibt. Als Drittes die „Radikalen“, die den bewaffneten Kampf zwar nicht aktiv propagieren oder praktizieren, ihn aber doch unter Umständen für legitim befinden. Am extremen Rand der Szene stehen die Unterstützer und Praktikanten terroristischer und sonstiger militanter Aktivitäten.
In Deutschland geht man von etwa 7000 AnhängerInnen des Salafismus aus, das sind dort weniger als 0,2 % aller Menschen muslimischen Glaubens.

1 http://www.diewahrereligion.de/jwplayer/index.htm „Besuch in Österreich“
2 Bei dieser Zahl dürfte der Wunsch Vater des Gedanken sein. Seriösere Quellen sprechen von ca. 40 000

Artikel aus „Antifa Jahresforum 2014“, herausgegeben von der Welser Initiative gegen Faschismus