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Die Nationalratswahl 2019 und die türkeistämmigen WählerInnen

Rund 3,2 % der ÖsterreicherInnen, etwa 270 000 Menschen, haben Migrationshintergrund „Türkei“. Eine wieder mal heiß umkämpfte WählerInnengruppe

Diesmal keine „türkische“ Liste

Bemühungen aus dem SympathisantInnen-Umfeld der türkischen Regierungskoalition (AKP sowie die rechtsextremen „Grauen Wölfe“/MHP) eine bundesweite Kandidatur einer „MigrantInnenliste“ auf die Beine zu stellen sind diesmal rasch gescheitert. Zu schnell und unverhofft kam der Wahltermin, zu zerstritten sind die AkteurInnen.

Bei den Wahlen 2017 hatte in Vorarlberg die „Neue Bewegung Zukunft“/NBZ kandidiert, sie steht heuer nicht mehr am Wahlzettel. Man hatte damals noch große Pläne, wollte bundesweit antreten. Doch es reichte nur fürs Ländle, wo man mit 2724 Stimmen einen kleinen Achtungserfolg verbuchte – bundesweit bedeuted dies aber gerade mal 0,05 %. Noch mehr zu schaffen macht der NBZ die Abspaltung einer nun eigenständigen Liste „Heimat aller Kulturen“/HAK. Bei den Vorarlberger AK-Wahlen im Frühling 2019 wurde man von dieser vernichtend geschlagen: Über 6 % erzielte HAK, die NBZ schaffte keine 2 % mehr und verlor 3 ihrer 4 Kammerräte. Vermutlich wird die HAK im Ländle also die NBZ als Partei des türkischen rechten Spektrums ablösen; derzeit konzentriert sich HAK auf die Vorarlberger Landtagswahlen am 13.10.2019. Freilich hat man auch dort nur Außenseiterchancen. HAK dürfte sich auch der Sympathie der türkischen Regierung erfreuen. Wohl nicht zufällig residieren das türkische Generalkonsulat und die HAK auch im gleichen Gebäude in Wolfurt. HAK-Gründer Murat Durdu war zuvor führend für die „Grauen Wölfe“ aktiv.
Eine weitere neue, ähnliche Liste ist „Soziales Österreich der Zukunft“ (SÖZ), die im Juni in Wien präsentiert wurde. Die Partei um Hakan Gördü, der 2016 als Vize-Chef der Erdoğan-treuen „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“ (UETD) zurücktrat, will 2020 bei den Gemeinderatswahlen in Wien antreten. Bei SÖZ wirken vor allem ehemalige AnhängerInnen von „Gemeinsam für Wien“ und der NBZ.

Verhältnis zu den anderen Parteien

Ohne „türkische“ Liste werden die aus der Türkei stammenden WählerInnen mit den „alten“ österreichischen Parteien Vorlieb nehmen müssen, so wie sie es auch bislang größtenteils taten. Um die Stimmen der Linken buhlen vor allem die Grünen und die KPÖ. Die Grünen schicken Berivan Aslan ins Rennen, die schon von 2013 bis 2017 im Nationalrat war, als erste kurdisch-stämmige Abgeordnete. Die linke Menschrechtsaktivistin ist das Hassobjekt der türkischen rechsextremen und Islam-Fundis; umso mehr erfreut sie sich in der Linken, vor allem der kurdischen, an Anerkennung. Viele dieser Vereine und „Opinion Leader“ unterstützen Aslan bzw. die Grünen.
Bei der von der KPÖ angeführten linken Liste steht mit Zeynep Arslan eine renommierte Sozialwissenschafterin und Autorin auf Platz 3 der Bundesliste. Dazu kommen einige KandidatInnen aus den Reihen der DIDF, der „Föderation Demokratischer Arbeitervereine“. Diese steht der türkischen, marxistischen Emek Partisi nahe, und hatte bislang meist die SPÖ unterstützt. Nun folgt man dem deutschen Beispiel, wo mit Sevim Dağdelen eine DIDF-Frau für die „Linken“ im Bundestag sitzt. Ein weiterer Grund für den Bündniswechsel könnte das Liebäugeln der SPÖ mit rechten und rechtsextremen Kreisen aus der Türkei sein. So findet sich das Porträt von Pamela Rendi-Wagner derzeit bei den Linzer „Grauen Wölfen“ in der Stube – unweit von denen der Faschistenführer Türkeş und Bahceli:

Lokal von „Avrasya“ (Screenshot facebook)

Die miese Gesellschaft wurde Rendi-Wagner vermutlich von ihren Linzer GenossInnen eingebrockt, die sich zwar nach dem Mauthausen-Skandal 2016 von „Avrasya“ distanziert haben, was aber spätestens seit letztes Jahr wieder obsolet ist. Das zeigen eine Reihe dokumentierter Besuche von SPÖ-PolitikerInnen bei den „Grauen Wölfen“, zuletzt vom Juli 2019. Unterstützung erhält die SPÖ aber auch aus dem kemalistischen Lager ebenso wie von AKP-AnhängerInnen (z. B. AKP Linz). In Westösterreich rufen führende „Graue Wölfe“ zur Wahl des SPÖ-Kandidaten Tarik Mete auf, obschon sich dieser wiederholt von solchen Kreisen distanzierte.

Offizielle Wahlempfehlungen der Verbände und Vereine gibt es vor allem im konservativen und rechten Spektrum jedoch kaum. Generell scheinen die Communities zunehmend politisch enthaltsamer, vermutlich auch, weil sie selbst kein großes Wahlkampfthema sind. Zudem sind türkeistämmige KandidatInnen kaum wo auf aussichtsreichen Plätzen zu finden.

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