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Braune Umtriebe im Heimatgau

aus: Analyse & Kritik, Hamburg, Nr. 588, November 2013 

Objekt 21: Nazis in Österreich mit guten Kontakten nach Thüringen

Von Thomas RammerstorferJanuar 2013: Einer erstaunten Öffentlichkeit in Österreich wird mit Objekt 21 ein in seinen Dimensionen nahezu einzigartiges kriminelles Netzwerk präsentiert: Die oberösterreichische Polizei macht die Neonazigruppe für zahlreiche Straftaten wie Einbrüche, Brandanschläge, Entführung, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, Körperverletzungen usw. usf. verantwortlich.

Benannt ist die Gruppe nach der Anschrift ihres Anwesens im Ortsteil Windern, einem kleinen Ort zwischen Braunau und Linz. Der Nazikameradschaft mit engen Verbindungen nach Bayern und Thüringen rechnet die oberösterreichische Polizei rund 30 Mitglieder und etwa 200 Anhänger aus Österreich und Deutschland zu. Bei Razzien im Januar wurden unter anderem Sturmgewehre, Maschinenpistolen und zehn Kilogramm Sprengstoff gefunden.

Der Zerschlagung der Gruppe im Januar ging eine jahrelange Untätigkeit der Sicherheitskräfte vor. Dabei waren die Hintermänner und Aktivitäten von Objekt 21 längst bekannt. Alleine in der Tageszeitung »Österreich« erschienen seit 2010 gezählte 30 Artikel mit detaillierten Informationen, insbesondere zu den neonazistischen Verbrechen der Gruppe. Am 4. November 2013 verurteile das Landgericht Wels nun sieben Männer wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung. Doch die Mühlen der Gerechtigkeit mahlen nur langsam und schlampig.

Anfang 2010 stießen AntifaschistInnen auf das Objekt 21, eine relativ offen agierende Neonazigruppe, die im Örtchen Desselbrunn am Rande des Salzkammergutes ein Haus angemietet hatte. Ein Szeneaussteiger lieferte Beweismaterial: Fotos von mit Hakenkreuzen »verzierten« Wänden, von völkischen Liederabenden mit deutschen und österreichischen Szenebarden, Saufgelagen und dergleichen mehr. »Wir hatten die in wenigen Tagen ausrecherchiert. Aufgrund der völlig offensichtlichen NS-Wiederbetätigung dachten wir, die Sache werde vom Verfassungsschutz kurz und schmerzlos erledigt«, erzählt Roman G., ein Ebenseer Antifaaktivist. Doch es sollte anders kommen.

Erst zwei Monate nach Beginn der antifaschistischen Öffentlichkeitsarbeit erfolgte eine Hausdurchsuchung, die dann freilich wenig Verwertbares zutage förderte. Die Bezirkshauptmannschaft brauchte bis 2011, um einen von den Nazis zur Tarnung gegründeten Kulturverein zu verbieten. Angesichts der behördlichen Untätigkeit traten die »Objektler« zunehmend frecher auf und erweiterten ihre Tätigkeiten. Man stieg ins Rotlichtmilieu ein, verdiente dort als Auftragsbrandstifter und Berufsschläger. Drei Bordelle wurden übernommen, ein Versand etabliert (»NS Squad«) und Konzerte veranstaltet.Engste Beziehungen pflegte man zu Kameraden aus Thüringen. Die Gruppe war streng hierarchisch strukturiert, unumstrittener Führer Jürgen W., der auch während der Verbüßung einer 2009 verhängten Haftstrafe per Facebook und Handy die Aktivitäten koordinierte. Diverse Versuche zur Zusammenarbeit und zum Informationsaustausch vonseiten deutscher Sicherheitskräfte scheiterten am Desinteresse ihrer österreichischen KollegInnen.

Das ganze Ausmaß an behördlicher Unfähigkeit und Unwilligkeit brachte der Prozess vor dem Landgericht Wels im Herbst 2013 zutage. Zwar waren die Aktivitäten der Gruppe jahrelang bekannt, die tatsächlichen Ermittlungsergebnisse aber nur rar. Die Erhebungen liefen verspätet an, bei Hausdurchsuchungen wurde Beweismaterial übersehen, die Anklageschrift wurde wegen Formfehlern vom Landesgericht zunächst zurückgewiesen. Weder wurden Telefone abgehört noch Internetaktivitäten überwacht. Die offene Facebook-Gruppe der »Objektler« fiel niemandem auf – sie besteht bis heute.

Auch die Auswahl der Angeklagten ist nicht nachvollziehbar. Einige kleine Mitläufer landeten vor Gericht, einige Kader der Gruppe blieben unangetastet. Der gesamte Komplex wird zudem nicht im Ganzen vor die Justiz gestellt, sondern in einzelne Tatbestände filetiert. Hier wird mal eine Brandstiftung verhandelt, da ein paar Einbrüche, auch die NS-Wiederbetätigungen werden nach einem nicht nachvollziehbaren Muster aufgeteilt.

So wartet etwa der Thüringer Naziliedermacher Phillip T. in der JVA Korneuburg auf einen Prozess, der in der österreichischen Szene eine wesentliche Rolle zu spielen scheint. Ebenso wie Andreas P. aus Gotha (Thüringen), der in Linz sitzt. Das Wesentliche wurde in Wels offensichtlich übersehen – oder bewusst vertuscht: Hier operierte eine militante, neonazistische, streng hierarchisch gegliederte Bande mit besten Verbindungen in die deutsche, vor allem Thüringer rechtsterroristische Szene.

»Die Unbedarftheit, mit der die Polizei wohl jahrelang dem Treiben zugesehen hat bzw. den neonazistischen Kontext ausblendete, erinnerte schon fatal an Ermittlungspannen der bundesdeutschen Behörden in den Anfangsjahren des NSU«, so die Bundestagsabgeordnete der LINKEN Martina Renner, die nun eine parlamentarische Anfrage zu den Vorkommnissen stellt. Es bleibt abzuwarten, ob dadurch Licht ins Braune kommt.

Thomas Rammerstorfer arbeitet als freier Journalist und lebt in Oberösterreich.

Der Heimatgau

Wenige Landstriche Europas haben vom »Dritten Reich« ähnlich nachhaltig profitiert wie der »Heimatgau des Führers«, Oberösterreich. In sieben Jahren NS-Herrschaft erfuhr der damalige »Gau Oberdonau«, in erster Linie durch den rücksichtslosen Arbeitseinsatz von ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlingen, einen massiven Industrialisierungs- und Modernisierungsschub. Dadurch sind Ansichten a la »Hitler hat auch viel Gutes getan« sowohl bei den Eliten als auch der Arbeiterschaft weit verbreitet und tradiert. Oberösterreich gilt als Bundesland mit dem größten Rechtsextremismusproblem.