Archiv für den Monat: Juni 2017

Nicht „Staatsverweigerer“, sondern Demokratieverweigerer

Ihre Behauptungen sind schlicht falsch, ihre Argumente höchst widersprüchlich, ihr Treiben am Rande der Legalität, ein Sinn des Ganzen nicht erkennbar: Und dennoch boomt die „Staatsverweigerer“ bzw. „Staatsgründerszene“. An die 1200 AnhängerInnen soll sie in Österreich schon zählen. Zunehmend geraten sie ins Visier der Behörden. Seit ein deutscher „Reichsbürger“ – wie sich die AnhängerInnen dort nennen – im Oktober 2016 einen Polizisten erschoss, werden sie deutlich ernster genommen. Ende April 2017 wurden bei Razzien in mehreren Bundesländern 26 AnhängerInnen der Bewegung festgenommen. Doch was sind die Gründe für diese separatistisch-obskurantistische Bewegung, und was die Risiken? Eine Nachschau beim „Staatenbundes Österreich“.

Staatenbund Österreich: Verweigern & Gründen

„Naja, die Zweite Republik Österreich war ja nur die Selbstverwaltung der Alliierten und diese wurde bereits aufgelöst. Nun waren wir quasi Staatenlose und bereit gemacht zum ausplündern, deswegen haben wir auch diese Piraterie da, da ist die europäische Bevölkerung ausplündert worden. Das heißt, die Republik Österreich hat nie Anspruch gehabt auf das Territorium, aber das ist jetzt die Monarchie gewesen. Aber alle Gesetze wurden von den Alliierten aufgehoben, zurück bis 1914, also bis zum Kaiserreich, das heißt wir schließen direkt bei 1914 an, aber der Kaiser ist ja nicht mehr da, somit kann man das Alte ja auch nimmer aufbauen, weil zu viel Schaden angerichtet wurde. Und deswegen hat der Staatenbund Österreich eben neun souveräne Staaten gegründet unter seinem Dach, und eben diese unantastbare, souveräne und absolute Völkerrechtssubjekt errichtet. Und die Geschichte sollte man ruhen lassen.“ (siehe https://www.youtube.com/watch?v=IasrkaCRAN0)

So führt die Präsidentin des „Staatenbundes Österreich“, Monika Unger, aus, wie es zur Gründung von diesem gekommen ist. Schlauer als nach diesem Sermon wird man auch nach mehreren Stunden Studiums staatenbündischer Statements nicht; sie können es sich wohl sparen. Zusammengefasst lässt sich feststellen: Unger ist der Meinung, dass Österreich irgendwann zwischen 1914 (anscheinend vermutet sie für dieses Jahr das Ende der Monarchie) und der Nachkriegszeit des 2. Weltkrieges aufgehört hat zu existieren. An seiner statt sei eine Firma eingesetzt worden, eine „Kapitalgesellschaft“, hinter der ein buntes Team aus Bösewichten, wie den „Alliierten“, dem Vatikan, den Freimaurern, Rothschild, den Medien, acht Banken, der „City of London“ und „Washington D. C.“ stehe. Da also die Republik Österreich nicht existiert, sei es recht und billig, dass sie und ihre Gefolgschaft einen eigenen Staat errichten. Oder sogar derer 9 (neun), die sich mit den Grenzen der Bundesländer decken und genau so heißen (ein Zufall?), und die zusammengefasst nicht wie gehabt einen Bundesstaat, sondern vielmehr einen Staatenbund namens Österreich bilden. Dessen Präsidentin Unger ist. Frau Präsidentin Unger ist als „Humanenergetikerin“ selbstständig. Sie bietet „Geistheilung mit kosmischen Symbolen“, „Energiearbeit mit dem göttlichen Heilstrom“ sowie „Engelarbeit und Engelbotschaften“ an. Vielleicht liegt hier das Geheimnis ihres Erfolges, immerhin kann sie heute auf eine mehrere hundertköpfige Gefolgschaft verweisen.

Was macht man nun, wenn man endlich das Joch des vermeintlichen Unrechts-Nicht-Staates Österreich abgeschüttelt hat? Man kopiert ihn. Zu den ersten Aktionen der fleißigen Staatsgründerleins gehört mal die Ausgabe (gegen Gebühr) von Auto-Kennzeichen, Reisepässen, Führerscheinen und „Befreiungsbestätigungen“. Eine Nationalbank wurde gegründet (namens „Haus der Schöpfung“) Dann wurden Behörden, Banken und Firmen über ihre „Rückführung ins Volksvermögen“ in Kenntnis gesetzt. Das Volk ist der „Staatenbund Österreich“. Mehr als 9000 Briefe versandte man zu diesem Zwecke an die Betroffenen, allein die Resonanz blieb aus. Weder die Gemeinden, noch der Flughafen Wien oder der Verfassungsschutz unterstellten sich der neuen Herrscherin. Vielmehr bekamen die ersten StaatsbündlerInnen Stress mit Grund: Zum Beispiel wegen Fahrens mit Fantasiekennzeichen. Mittlerweile vergeht keine Woche ohne Strafverfahren gegen Ungers Jünger. Nun stellt sich einem die Frage: Was treibt einem dazu, mit enormen Aufwand solch kindischer und sinnloser Aktivitäten nachzugehen?

Wer sind diese Menschen? Keine AnarchistInnen.

Man könnte annehmen, es handle sich hier wie bei vielen Sekten oder rechtsextremen Gruppen vor allem um Jugendliche und junge Erwachsene auf der Suche nach Sinn und Gruppenzugehörigkeit. Doch weit gefehlt; anhand der Personen, die namentlich bekannt sind oder auf Videos und facebook-Profilen der Bewegung zu sehen sind ergibt sich eher ein durchschnittliches Alter von rund 40 bis 60 Jahren. Es dürfte ein recht klarer Männerüberschuss bestehen, geographisch ist man über ganz Österreich verteilt, stark vertreten ist die Steiermark, Heimat-Staat der Präsidentin, in Oberösterreich dürfte man zahlenmäßig die konkurrierende „Freeman“-Gruppe überholt haben. Nicht wenige der AktivistInnen sind Jahre- oder Jahrzehntelange Szenegänger der Esoterik- und Alternativmedizinszenen, mit fließenden Grenzen hin zu (teils antisemitischen) VerschwörungstheoretikerInnen und Rechtsextremen. Auffallend ist die große Gruppe an Menschen, die in einem „ersten Leben“ oder bei einer „ersten Karriere“ gescheitert sind. Viele berichten von negativen Erlebnissen mit Ämtern, Gerichten, der Polizei, Sozialversicherungen… dass man nun ausgerechnet diese Institutionen quasi imitiert, sagt einiges über die „Staatenbündler“ aus. Man könnte ja meinen, dass jemand, der sich von der Bürokratie geplagt und verfolgt fühlt (und welcher in Österreich lebende Mensch tut das nicht manchmal?), ein freies und selbstbestimmtes Leben anstrebt. Doch Unger und Co. sind keine AnarchistInnen, weit gefehlt. Ihre echten und vermeintlichen Kränkungen, ihre teil-, selbst- oder vielleicht auch unverschuldeten Ohnmachtssituationen haben in ihnen anscheinend nur einen Wunsch geweckt: Den nach Macht. Man möchte einmal zu denen gehören, die am Telefon rumkommandieren, die schimpfen und kränken und schikanieren, man möchte zu denen gehören, die mit bürokratischen Aufwand nerven und dabei noch Geld einnehmen. Es sind die Ohnmächtigen, die mangels Fähigkeiten und Möglichkeiten keine realen Machtpositionen erreichen konnten, und die sich jetzt einfach eine ausgedacht haben.

Was wollen sie? Eine Diktatur.

„Sämtliche Gerichte, Staatsanwaltschaften und die gesamte Justiz hat ihre Arbeit sofort einzustellen.“
„Die Polizei und das Militär haben für den Übergang in das Goldene Zeitalter für Ruhe, Frieden und Ordnung die Verantwortung.“
„Die Weltbrandstifter sind zu verhaften.“
„Alle Religionen sind aufgelöst.“ (ebenso: EU, Regierungen, Parlamente)
„Die Präsidentin ist nicht abwählbar, besitzt Immunität und alleiniges Vetorecht“
(aus: „Das Regelwerk – unsere Verfassung“, siehe http://www.oesterreich-rundschau.at/aktuelle-rundschau/das-regelwerk-unsere-verfassung-staatenbund-oesterreich/)
Das sind Vollmachten, von denen die Herrn Putin oder Erdogan nur träumen können. Die Bauanleitung für einen totalitären Staat. „Staatsverweigerer“, oder gar „Anarchisten“ jedenfalls sind falsche Ausdrücke für diese Personen. Blickt man in ihre „Verfassung“ entpuppen sie sich vor allem als Demokratieverweigerer.

Thomas Rammerstorfer

aus: Antifa-Forum 2017