Die Netzwerke der blauen Regierungsmannschaft

aus Versorgerin #108:

Thomas Rammerstorfer wirft einen Blick auf Manfred Haimbuchner und seine FPÖ.

Steinhaus bei Wels

»I hab eam nie ane verpassen müssen, er woar immer folgsam«[1],erzählt Lambert Haimbuchner, Vater von Landeshauptmann-Stellvertreter Manfred. Der wurde in Steinhaus bei Wels in eine heile blaue Welt hineingeboren. 1979, in einer Zeit, wo die FPÖ anderswo um die 5 %-Marke herumkrebste, wurde Papa Lambert Bürgermeister, und er blieb das bis 2003. Auch danach war Steinhaus FPÖ-Hochburg, und die WählerInnen ließen sich einfach nicht vergraulen, auch nicht, als FP-Bürgermeister Piritsch 2012 wegen Amtsmissbrauchs rechtskräftig verurteilt wurde, auch nicht, als der FP-Vizebürgermeister im Mai ‘15 wegen sexuellen Missbrauchs seiner elfjährigen Enkeltochter rechtskräftig verurteilt wurde. Bei der Gemeinderatswahl im September steigerten sich die Blauen dort auf 51%.

Manfreds Welt

Doch Manfred Haimbuchner ist die Welt dort ohnehin schon zu klein geworden, er strebte nach höheren Weihen, derer er auch schon recht jung anteilig wurde. 2006, gerade mal 28, zog er in den Nationalrat ein. Dort war Haimbuchner u. a. als »Vertriebenensprecher« tätig. Ein Thema, das den Sohn einer Volksdeutschen auch privat umtrieb, so war er stellvertretender Vorsitzender des am äußersten rechten Rand der »Heimatvertriebenen« angesiedelten »Witikobundes«. 2009 wurde er Spitzenkandidat der FPÖ für den Landtag, dem er daraufhin sechs Jahre als Landesrat angehörte. Als eine seiner ersten Amtshandlungen als Wohnbaulandesrat ließ er die Anträge auf Wohnbeihilfe in türkischer und serbokroatischer Sprache aus dem Netz nehmen. Der Kampf der FPÖ gegen Sozialleistungen für Menschen »südländischer Zunge« hatte begonnen und blieb seither eine Konstante im Wirken Haimbuchners. 2010 übernahm Haimbuchner von seinem »väterlichen Freund«[2] Lutz Weinzinger (Scardonia Schärding/Bruna Sudetia Wien) auch den Landesparteivorsitz.

Die drei Burschen

»Heil‘ge Treu‘ dem Vaterlande, Heil‘ge Treu dem Bruderbande« steht am Wappen des Corps Alemannia Wien zu Linz. Gleich zwei Mitglieder der oberösterreichischen Landesregierung stammen aus dem Männerbund, in dem die Mensur noch Pflicht ist: Manfred Haimbuchner und Günther Steinkellner. Ebenso wie der ehemalige Linzer Vizebürgermeister, heutige EU-Abgeordnete und Präsident des Trägervereines des Burschenbundballes Franz Obermayr – oder einst SA-Mann Horst Wessel. Die regierende Burschenherrlichkeit wird ergänzt von Landesrat Elmar Podgorschek, der sich bei der Rieder Germania und der Wiener Cimbria schlug. Mit dem Zweiten Landtagspräsidenten Adalbert Cramer von der Hellas Wien konnte sich ein weiterer Bursche eine Machtposition sichern. Was auffällt: Obwohl die Korporierten deutlich in der Minderheit sind, haben sie sich auf Landesebene fast alle wesentlichen Machtpositionen gesichert, u. a. drei von drei Regierungsmitgliedschaften. Hier wollen wir kurz das Land verlassen und einen Blick auf die beiden wichtigsten Städte, Linz und Wels, werfen, wo sich zwei völlig unterschiedliche Szenen darstellen. Das in Linz wirkende bzw. aus Linz kommende und z.B. im Nationalrat aktive Führungspersonal besteht zum überwiegenden Teil aus Burschenschaftern, meist von der Arminia Czernowitz. Arminen, früher Detlef Wimmer, heute Michael Raml, führen auch den »Ring Freiheitlicher Jugend«. Ein weiterer Armine ist Wolfgang Kitzmüller, dessen Gattin Nationalratsabgeordnete Anneliese Kitzmüller (Mädelschaft Sigrid) den »Vertriebenensprecher« von Haimbuchner übernahm. Selbst innerhalb der FP und innerhalb des Burschenschaftmillieus stehen die auch intern mitunter als »FPÖ Czernowitz« bezeichneten LinzerInnen weit, weit rechts. Im krassen Gegensatz dazu die weit erfolgreichere Welser Stadtpartei: Hier sind keine Burschis zu finden. Generell unterhalten die WelserInnen nur lose Bande zur Landes- und Bundespartei und beteiligen sich auch nicht an der nachfolgend beschriebenen blauen Vereinsmeierei.

Plötzlich katholisch und immer neoliberal

Neben den deutschnationalen Burschenschaften und den Vorfeldorganisationen der Partei hat die FPÖ in Oberösterreich in den letzten Jahren aber noch einen bunten Strauß an de facto FPÖ-anhängigen Vereinen gegründet bzw. wiederbelebt.

Kennen sie den »Ring Freiheitlicher Katholiken«? Wahrscheinlich nicht. Nicht mal Google kennt ihn wirklich und findet gerade mal fünf Einträge dazu, die sich alle auf die Obmannschaft von Landesrat Günther Steinkellner beziehen. Dabei wäre der 2013 gegründete Verein auch sonst prominent besetzt: Adalbert Cramer ist im Vorstand ebenso wie Landeshauptmann-Stellvertreter Haimbuchner und der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Herwig Mahr. Nichtsdestotrotz sind keine Aktivitäten der neuerweckten Katholiken bekannt, ebenso wenig wie von der (in Oberösterreich) 2014 gegründeten »Christlich Freiheitlichen Plattform für ein freies Europa selbstbestimmter Völker«, die ChristInnen aus dem ehemaligen Jugoslawien vereinen soll.

Die FPÖ-Industrie-Connection

Deutlich ernster nimmt die Landes-FPÖ ihre irdische, neoliberale Agenda. Gleich zwei Vereine üben eine wohl nicht unwesentliche Scharnierfunktion zur Industrie aus: »Manfred Haimbuchner initiierte unter der Schirmherrschaft des [damaligen – Anm. d. Verf.] Dritten Landtagspräsidenten Adalbert Cramer den Liberalen Klub in Oberösterreich und belebte den freiheitlichen Arbeitskreis Attersee mit NAbg. a. D. Alois Gradauer[3] als Präsidenten mit frischem Wind.«[4] Beide Vereine residieren in der FPÖ-Landesgeschäftsstelle in Linz. Ihre neoliberale Ideologie konnten sie noch nicht ganz in die Praxis umsetzen, und so werden sie vom Land Oberösterreich laut Landesförderbericht mit jährlich 55.000,- (Atterseekreis) bzw. 100.000,- Euro (Liberaler Klub) gefördert. Das ist viel Geld. Hubert Schreiner, hauptberuflich Landesgeschäftsführer der FPÖ und »Landesschulungsverantwortlicher« des FPÖ-Bildungsinstitutes, verwaltet es, er ist Kassier in beiden Vereinen. Insbesondere die 100 000 für den Liberalen Klub werden gar nicht so leicht auszugeben sein, besteht doch die einzige Aktivität des Vereins im Abhalten zweier Klubabende jährlich.[5] Wer hier zu Wort kommt? Neben FPÖ-Politikern in erster Linie Vertreter der Industrie und Wirtschaft. Der Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung, Georg Kapsch etwa, dazu die letzten beiden oberösterreichischen IV-Präsidenten Greiner und Pöttinger, der ehemalige Präsident des Bundes Deutscher Industrie, Hans Olaf Henkel oder Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Die schwarz-blaue Landesregierung war nicht nur eine Frage von post-elektionalen Koalitionsverhandlungen, sondern wurde vielmehr jahrelang vorbereitet; unter anderem durch den »Liberalen Klub«.

Und weiter geht‘s

Auch der Nachwuchs wird umsorgt. Das »Studentenhilfswerk Linz« betreibt mit seinem Johannes-Kepler-Heim mit 242 Doppelzimmern das zweitgrößte Studentenheim von Linz. Im Vorstand finden wir Haimbuchner, Steinkellner und Gerald Daschiel. Letzterer ist auch altgedienter Funktionär des rechtsextremen Witikobundes, dem nunmehr Günther Kleinhanns vorsteht. Kleinhanns, FP-Klubobmann im Linzer Gemeinderat, ist wiederum auch stellvertretender Vorsitzender eines weiteren FP-Vorfelders, des »Klub Austria Superior«, dem »der richtige Gebrauch und die Entwicklung unserer deutschen Muttersprache« sowie die »Pflege und Wahrung abendländischer Kultur«[6] umtreiben. Beide – Daschiel und Kleinhanns – finden wir auch noch im Vorstand eines weiteren »Vertriebenen«-Vereins, dem »Sozialwerk Sudetia«.

Für den Linzer NR-Abgeordneten Werner Neubauer (Teutonia Linz) bleiben schließlich noch die Obmannschaften im Verein »SOS Abendland« sowie dem »Berg Isel-Bund«, einem »Schutzbündnis für die Rechte der Südtiroler«. Stellvertreter ist Klaus Starzengruber[7], Linzer Gemeinderat a. d., wiederum auch Vorstandsmitglied des Witikobundes…

[1] http://www.nachrichten.at/nachrichten/politik/landespolitik/wahl2015/I-hab-eahm-nie-ane-verpassen-muessen;art174240,1963513, abgerufen am 11. November 2015
[2] http://www.fpoe-ooe.at/ueber-mich/, abgerufen am 13. November 2015
[3] Burschenschaft Bajuvaria Linz
[4] http://www.fpoe-ooe.at/ueber-mich/, abgerufen am 13. November 2015
[5] http://www.liberalerklub.at/
[6] http://www.klubaustriasuperior.at/Wir-ueber-uns/, abgerufen am 13. November 2015
[7] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20130917_OTS0069/bergisel-bund-neubauer-einstimmig-zum-bundesobmann-wiedergewaehlt, abgerufen am 13. November 2015

14. 1. 2016: „Brauntöne“ in Bad Ischl

„Brauntöne – Rechtsextreme Jugendkulturen und ihre Musik“: Thomas Rammerstorfer beleuchtet in seinem mit Bildern und Tonbeispielen unterlegten Vortrag sowohl die Geschichte des Rechtsrock als auch die aktuellen Tendenzen in den Szenen (Neonazistischer Black Metal, LiedermacherInnen, brauner Techno, NS-Hardcore usw.). Auch gegenwärtige rechtsextreme Kleidungsmarken und Codes/Symbole werden thematisiert.

14. 1. 2016, 18 Uhr
Jugendzentrum Bad Ischl
Auböckplatz 6
4820 Bad Ischl

16. 12. 2015: Esoterik und Leitkultur – politische Hintergründe von Verschwörungsthorien (Wien)

Mittwoch, 16. Dezember um 19:30

Universitätscampus, Hösaal B, Hof 2.10

Vortrag: Thomas Rammerstorfer (Journalist)

Verschwörungsmythen sind wirkungsmächtige Konstrukte, von denen eine wachsende Minderheit der Menschen überzeugt ist. Solche Erklärungsmodelle stellen wahnhafte, geschlossene und oft antisemitische Gebilde dar, mit denen die kapitalistische Realität märchenhaft verklärt wird.

Hierzu werden Referent_innen mit verschiedenen Schwerpunkten und Herangehensweisen zu diesem Themenfeld zu Vorträgen an der Universität Wien eingeladen. Als erster Vortragender wird Thomas Rammerstorfer über Vergangenheit und Gegenwart der Verschwörungstheorien sowie die Mechanismen zu ihrer Entstehung berichten.
eso

24. 11. 2015: Im Studio bei Tabakfabrik TV

Haben die Amis die Flüchtlingskrise künstlich herbeigeführt, um den Euro zu zerstören? Nicht für alle klingt das absurd. In einer zunehmend verunsicherten Welt haben Verschwörungstheorien Hochkonjunktur. Aber muss uns das interessieren? Ja, sagt der Rechtsextremismus-Experte Thomas Rammerstorfer, denn Verschwörungstheorien benennen in der Regel Schuldige: Bilderberger, Geheimdienste, Freimaurer und Juden, um nur einige Beispiele zu nennen. Damit sind sie wichtiger Bestandteil oder zumindest Einfallstor für faschistische wie auch andere totalitäre Extremismen.

Thomas Rammerstorfer ist am 24.11. bei Christian Diabl in Tabakfabrik TV, 19.00 Uhr, live auf dorf.tv.

14. 10. 2015: „Schall und Rauch“ in Ottensheim

KomA – Vortrag – Schall und Rauch – (19:30 – 22:00)

In einer als zunehmend unsicher wahrgenommenen Welt blühen die Verschwörungstheorien. Für viele hat der Gedanke, finstere Mächte würden klammheimlich die Geschicke der Menschheit steuern fast schon was tröstliches. Doch die Weltverschwörungsphantastereien sind oft nicht nur harmloser Unfug, vielmehr sind sie auch ein wesentlicher Bestandteil faschistischer wie auch anderer totalitärer Extremismen.

Thomas Rammerstorfer ist Journalist und Referent, beschäftigt sich seit Jahren mit Themengebieten wie Rechtsextremismus und der Türkei, dazu bereits mehrere Veröffentlichungen. Er ist Gründer des Welser Infoladens und stv. Vorsitzender der Welser Initiative gegen Faschismus.
Mehr Informationen zum Vortrag gibt es schon vorab hier:
http://www.thomasrammerstorfer.at/2015/04/07/schall-und-rauch-das-denken-der-weltverschwoerungstheoretiker/.

Ort: Tagsheimstätte; Marktplatz 9
4100 Ottensheim

http://www.koma.ottensheim.at/KomA/KomA_Programm/Eintrage/2015/10/14_Schall_und_Rauch.html

An vielen Grenzen

aus: KUPF-Zeitung Nr. 155

Im Frühling waren Aktivistinnen der oberösterreichischen Fraueninitiative Mirabal im türkisch-syrischen Grenzgebiet unterwegs. Thomas Rammerstorfer hat sie begleitet. Bilder einer Region auf der Schwelle zum Krieg.

Diyarbakır, auf kurdisch Amed, wird gerne als die heimliche Haupstadt Kurdistans bezeichnet. Von Heimlichkeit ist aber nicht mehr viel zu sehen. Die pro-kurdische Partei regiert hier mit satter Mehrheit, die Straßen und Souvenirstände sind geprägt von den kurdischen Farben: rot, gelb, grün. Selbst in Amtsgebäuden hängen Öcalan-Portraits. Die Türkei scheint hier weit weg. Sie ruft sich in Erinnerung durch gepanzerte Wasserwerfer und Räumfahrzeuge, die an allen großen und vielen kleineren Kreuzungen stehen – Tag und Nacht, mit eingeschaltetem Blaulicht, eine Erinnerung an die erodierende Macht des Zentralstaates: hallo, wir sind auch noch da! Jedes dieser weißen Fahrzeuge ist gesprenkelt durch unzählige dunkle Punkte; dort wurden sie von Steinwürfen getroffen, der Lack ist ab.

Überall in Kurdistan im Frühling 2015. Nach drei Jahren bin ich wieder in dieser Gegend. Einiges hat sich verändert. Trotz des Krieges in Syrien, trotz Elends, Unterdrückung – die Menschen gehen hier jetzt aufrechter. Man hat in Syrien den IS besiegt, freilich noch nicht ganz; aber das von der YPG gehaltene Gebiet hat sich 2015 verdoppelt. Hier beginnt man damit den „demokratischen Konföderalismus“, einen basisdemokratischen, ausgesprochen pro-feministischen Sozialismus umzusetzen. Staat will man keinen. Staaten haben genug Schaden angerichtet.

Flüchtlingslager für YezidInnen, in der Nähe von Amed (Diyarbakır). Die KurdInnen haben ein Mädchenzentrum eingerichtet. Hier wird unterrichtet, gebastelt, Tee getrunken. Die Fraueninitiative Mirabal kauft mit Spendengeldern das Nötigste. Vor 8 Monaten ist die Welt der Mädchen in einem Inferno aus Mord, Vergewaltigung und überstürzter Flucht untergegangen. Jetzt sitzen sie hier, ernst und fleißig bei der Handarbeit, unter einem Poster, das KämpferInnen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten zeigt.

Diyarbakır. Ein Gespräch mit Feleknas Uca. Als Yezidin in Deutschland geboren, war sie Abgeordnete im EU-Parlament für die „Linke“ (seit Juni ist sie Abgeordnete der HDP im türkischen Palament). Als der IS im Sommer 2014 mit dem Völkermord an den irakischen YezidInnen begann, zog sie in die Region und hilft seither vor Ort. Sie ist müde, war die ganze Nacht im Irak unterwegs, aber unermüdlich. Die yezidische Gesellschaft wurde vernichtet. Die Überlebenden sind irgendwo in der Region verstreut, in Flüchtlingslagern, in den Bergen, manche haben sich der YPG oder PKK angeschlossen. Andere, insbesondere Frauen, wurden gefangen, versklavt und verkauft. Uca hilft etwa dabei, befreite Sklavinnen zu ihren Familien zurückzubringen. Oder was davon übrig ist. Was sie erzählen, was Uca erzählt, ich will es nicht wiedergeben. Haben wir 2015? Sind wir Menschen?

Diyarbakır (nein, Amed!) Frühling 2015. Ein Taxifahrer klappt seine Brieftasche auf und zeigt mir ein Bild Abdullah Öcalans. „Das ist mein Vater“, sagt er.

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wenn man diese Schlacht mitverfolgt hat, über Tagen, Wochen, Monate, via Twitter, Streams und You Tube-Videos, dann hat man das Gefühl nun vor einer Filmkulisse zu stehen. Mehr sogar, plötzlich auf irgendeine Art und Weise in eine Filmszenerie gesaugt worden zu sein. Da steht er, der Sendemast, auf den der IS seine Flagge gehisst hat. Jetzt wehen dort der rote, der grüne und der gelbe Streifen Kurdistans über der Stadt. Die ist weitestgehend zerstört. Wir sind sprachlos.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. „Die PKK ist nicht die Partei der Kurdinnen und Kurden, sondern aller Menschen, die hier leben. Egal ob türkisch, kurdisch, armenisch, arabisch. Wir setzen uns für alle Unterdrückten ein. Auch für die Homosexuellen, denn die sind auch ein unterdrücktes Volk.“

Grenze zu Kobane, Frühling 2015. Wir stehen seit einer Stunde am Grenzzaun, filmen, fotografieren, gucken durch Ferngläser, die uns Einheimische gereicht haben (sie stehen jeden Tag hier, sagen sie). Fünf türkische Soldaten kommen. Junge, unsichere Burschen, in zu großen Uniformen und mit zu großen Gewehren. Hier dürfe man nicht filmen und fotografieren, sagen sie, und wir machen das jetzt schon eine Stunde, und jetzt sollten wir endlich aufhören. Recht überzeugend klingen sie nicht, aber wir sind ohnehin am Aufbrechen. Ich denke, hoffentlich bekommen die Jungs keinen Ärger mit ihren Vorgesetzten, und heute denke ich mir außerdem noch, hoffentlich werden sie nicht von der PKK erschossen. Oder erschießen sich selbst, aus Versehen oder aus Verzweiflung. Es kommt mir gar nicht in den Sinn, dass sie wen töten könnten, so unschuldig haben sie ausgesehen.

Amed, Frühling 2015. Ich interviewe einen Aktivisten der PKK. Er kommt gerade aus dem Gefängnis, Dort wurden wir sehr gut geschult. Es droht ihm eine weitere Gefängnisstrafe, vielleicht noch acht Jahre, vielleicht elf. Ob er nach Syrien gehen würde, kämpfen? Sicher, wenn die Partei es so beschließt. Und wenn er nicht möchte? Dann würde die Partei das auch akzeptieren. Es würde Kritik geben, aber sie würde es akzeptieren.

Flüchtlingslager für KurdInnen in Suruç, Frühling: Die Kinder sind gut gelaunt und lassen in Sprechchören Abdullah Öcalan, die PKK und die YPG hochleben. Sie freuen sich aufs älter werden, sagen manche, dann können sie endlich in den Krieg ziehen.

Suruç, Frühling. Der Park des Amara-Kulturzentrums ist eine schattige, grüne Oase in dieser Stadt, in der überall alte Autos und Pferdekarren um die Wette stinken und stauben. Wir albern etwas rum, schießen Erinnerungsfotos auf den schönen Holzstühlen. Die Stühle sehe ich im am 20. Juli wieder auf Fotos, sie sind umgekippt, verstreut, dazwischen liegen die Leichen von 33 Jugendlichen.

Factbox
Seit 1984 kämpfen die KurdInnen in der Türkei unter Führung der kurdischen ArbeiterInnenpartei PKK um mehr kulturelle und soziale Rechte. 2013 erklärte die PKK eine Waffenruhe und ihren Rückzug aus der Türkei in den Nordirak. Nach dem Anschlag des IS in Suruc, an dem die KurdInnen der Türkei Mitschuld geben, und Angriffe der Türkei auf die PKK-Stellungen im Irak wurde die Waffenruhe beendet. Seither sterben wieder nahezu täglich Menschen bei den Auseinandersetzungen.
Die HDP, Halkların Demokratik Partisi, ist eine Partei der pro-kurdischen und anderer progressiver Kräfte in der Türkei. Sie zog im Juni 2015 ins Parlament ein und verhinderte so eine neuerliche absolute Mehrheit der AKP. Noch wurde aber keine Regierung gebildet, wahrscheinlich gibt es im November Neuwahlen. Viele Menschen werfen der AKP vor, die Lage in den kurdischen Gebieten bewusst eskaliert zu haben, um bei Neuwahlen doch noch die absolute Mehrheit zu erlangen.
In Syrien kämpft die Schwesterpartei der PKK, die PYD bzw. deren bewaffnete Arme, die Volks- bzw. die Frauenverteidigungseinheiten (YPG bzw. YPJ) gegen den IS. Dabei kooperieren sie recht erfolgreich mit der US-geführten Koalition und den irakisch-kurdischen Peshmerga.

Thomas Rammerstorfer lebt in Wels, ist u. a. aktiv bei der Welser Initiative gegen Faschismus und der Liga für emanzipatorische Entwicklungszusammenarbeit (www.leeza.at)

28. 10. 2015: Flüchtlinge in der Türkei – ein Reisebericht (Linz)

Termin
Mittwoch, 28. Oktober 2015, ab 18:30 Uhr

Ort
Interkulturelles Begegnungszentrum Arcobaleno, Friedhofstraße 6, 4020 Linz

Inhalt

Thomas Rammerstorfer und Evrim Kutooglu nahmen im Frühling an einer Solidaritätsreise zu zwei Flüchtlingslagern an der türkisch-syrischen Grenze teil. Die Bewohnerinnen und Bewohner stammen aus den von den IS-Milizen verwüsteten yesidischen Siedlungsgebieten im Irak und um Kobane (Syrisch-Kurdistan). In einem mit vielen Bildern unterlegten Vortrag berichten die Beiden von ihren Eindrücken und der aktuellen Lage in der Region.

Dauer der Veranstaltung: 18:30 – 20:00 Uhr
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